Es ist eine Anlassgesetzgebung, der der Anlass abhandengekommen ist: Auftritte von türkischen Politikern, die für das umstrittene Verfassungsreferendum von Präsident Recep Tayyip Erdogan am 16. April Werbung machen wollten, sind nicht mehr zu erwarten. Abgesehen davon käme das Gesetz ohnedies zu spät – es würde nach Ablauf der Fristen erst nach dem türkischen Referendum in Kraft treten.

Einen Grund zur Eile gibt es also nicht. Umso verwunderlicher ist es, dass die Koalition nach wochenlangen Streitereien ihren hastig gefundenen Kompromiss für eine Reform des Versammlungsrechts jetzt per Initiativantrag im Eiltempo durch das Parlament peitschen will. Die Regierung verzichtet dabei bewusst auf das sonst bei Gesetzesvorhaben übliche Begutachtungsverfahren, im Zuge dessen Experten, Parteien, Universitäten, Bundesländer oder NGOs ihre Kommentare abgeben können.

Offenbar fürchtet die Regierung die Kritik und will sie gar nicht erst hören. Das ist bei einer derart sensiblen Materie wie dem Demonstrationsrecht umso problematischer. Und Kritik gibt es im Vorfeld von vielen Seiten schon genug. Denn das neue Versammlungsrecht beinhaltet durchaus schwerwiegende Eingriffe, die das Recht auf die freie Meinungsäußerung auf der Straße beeinträchtigen können.

Die Regierung argumentiert ihre Eile damit, dass endlich gehandelt werden müsse und dass auch die Bevölkerung das erwarte. Wenn es denn so wäre, dann hätte die Regierung auch die Meinungen von Fachleuten nicht zu fürchten. Offenbar ist dem aber nicht so.

Hier kommt es zu einem bedenklichen Demokratieabbau. Durch die Verlängerung der Anmeldefrist für Demonstrationen auf 48 Stunden werden alle halbwegs spontanen Protestkundgebungen auf der Straße unterbunden. Auch die Ausweitung der Schutzzonen bei Versammlungen stellt einen Eingriff in das Demonstrationsrecht dar. Schutzzonen mögen in vielen Fällen sinnvoll sein, können aber auch dazu missbraucht werden, Gegendemonstrationen abzuwürgen.

Der heikelste Punkt ist aber die "Lex Erdogan". Der Regierung wird es damit künftig möglich sein, Auftritte ausländischer Politiker und Demonstrationen unter bestimmten Bedingungen abzusagen. Jetzt sind sich zwar so gut wie alle darüber einig, dass Österreich keine Propagandaauftritte türkischer Politiker dulden kann, aber das Gesetz kann sich durchaus auch gegen andere richten: Dürfen kurdische Politiker und Oppositionelle aus anderen Staaten dann noch für ihre Rechte demonstrieren? Es ist nicht klar, wen dieses Gesetz sonst noch betreffen könnte.

Die Materie ist also durchaus sensibel. Deshalb ist es gänzlich unverständlich, dass auch die Sozialdemokraten, die bis vor wenigen Tagen noch darauf verwiesen haben, das Demonstrationsrecht mit dem Blut ihrer Vorfahren erkämpft zu haben, plötzlich ganz auf der Linie von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sind und es nicht eilig genug haben können, das Gesetz ohne Begutachtung durchzubringen.

Die SPÖ scheint darauf zu vergessen, was andere Regierungen nach ihr, die einen prinzipiell restriktiveren Zugang zum Demonstrationsrecht haben könnten, mit diesem Gesetz anstellen können. Es ist schlicht ein undemokratischer, nahezu autoritärer Zugang, diese Gesetzesmaterie ohne Anhörung von Experten und Opposition durchbringen zu wollen.

(Michael Völker, 23.3.2017)