Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ruft die türkische Diaspora in Europa zur Wahl auf, um so die Minderheiten im eigenen Staat noch besser unterdrücken und über die ganze Bevölkerung unumschränkter herrschen zu können. Er fordert von den Niederlanden jene demokratischen Rechte ein, die er daheim nun abschaffen will. Er missbraucht im Ausland die Meinungsfreiheit, die er zu Hause zerstört. Er setzt auf die nationale Karte. Zu Recht wird ihm vorgeworfen, den Wahlkampf zu exportieren.

Was, wenn die blutigen Verhältnisse, die Istanbul prägen, nun auch in Rotterdam, in Berlin oder in Wien Fuß fassen, fragen viele, doch er hetzt dabei nicht nur die türkische Herkunftsgemeinde auf. Erdogan spricht den Migranten als jenen ferngesteuerten Agenten an, den die heimisch abendländischen Populisten seit jeher nur in ihm sehen wollten. Er macht aus dem Einwanderer den Eindringling. Er erklärt die Diaspora zur fünften Kolonne, als die sie von den Rassisten hierzulande immer schon diffamiert wurde.

Wir sehen, wie die einen Scharfmacher da von den anderen dort bestärkt werden. Der eine macht gegen alle Tür- ken, ja, gegen Muslime schlechthin mobil, worauf der andere sie um so besser aufputschen kann, indem er wiederum den Hass auf Europa schürt. Die Hetzer diesseits und jenseits des Bosporus erklären alle zu Nestbeschmutzern, die sich die-ser nationalistischen Sicht nicht unterwerfen.

Dilemma westlicher Politik

Statt die Regierung von Istanbul politisch zu bekämpfen, wird ihre chauvinistische Strategie kulturalistisch unterstützt. Schlimmer noch: Der Innenminister träumt von einem eigenen Gesetz, einer Lex Erdogan sozusagen, mit der er nicht nur die Agitation fremder Regierungen auf eigenem Territorium einschränken will, sondern in einem Aufwaschen das Versammlungsrecht insgesamt aushöhlen möchte.

Die westliche Politik sieht sich indes einem tatsächlichen Dilemma gegenüber. Wer Erdogans Wünsche, auf Demonstrationen in fremden Ländern für sein Referendum zu reden, ablehnt, betreibt, ob er will oder nicht, indirekte Wahlhilfe für ihn. Die chauvinistische Stimmung am Bosporus wird so noch weiter aufgeheizt.

Aber ebenso widersinnig ist, ihm freien Lauf zu lassen, als würde er dadurch gestoppt. Nein, seine Provokationen werden dann nicht etwa ins Leere gehen. Die Massenagitation eines fremden Staatsmannes im eigenen Land angestrengt übersehen zu wollen kann die Eskalation nicht verhindern und bannt die Gefahr so effektiv wie lautes Pfeifen im Walde. In der Diskussion, ob türkischen Ministern erlaubt sein soll, hierzulande für die Einführung eines autoritären Regimes zu werben, wird davon geredet, wir brauchten Grenzen der Toleranz.

Aber einen Begriff hörte ich dabei noch gar nicht: jenen der Souveränität. Wie merkwürdig: Es ist doch gar nicht notwendig, ein neues Recht zu implantieren, um ausländische Regierungsmitglieder davon abzuhalten, hier zu agitieren. Zudem würde die Gesetzesänderung erst wirksam werden, wenn Erdogans Referendum längst abgehalten worden sein wird.

Der Souverän ist in der Demokratie das Wahlvolk. Ohne Souveränität – ob es nun um die österreichische, die deutsche oder sogar um eine europäische geht – kann Freiheit nicht garantiert werden. Wer als Regierungsrepräsentant in einem fremden Staat eine Kampagne anzettelt, obgleich er nicht dazu eingeladen ist, ja, trotzdem er nicht erwünscht ist, betreibt gezielte Grenzüberschreitung.

Die Souveränität der eigenen Nation beschützt, wer allen Menschen, die in seinem Land leben, das Angebot bietet, heimisch zu werden. Die Hetze gegen die Zugewanderten und der Verdacht gegen Doppelstaatsbürger helfen da nicht weiter. Vollkommen grotesk wird es, wenn gar das Demonstrationsrecht aller hier Lebenden im Namen der Demokratie abgebaut wird.

Der Innenminister nutzt Erdogans Vorstoß, um die Freiheiten des österreichischen Souveräns auszuhöhlen, indem er jene Beschränkungen vorschlägt, die bereits vor Wochen abgelehnt wurden. Hier ließe sich einmal ganz ohne Ressentiment sagen: Sobotka will uns türken.

Es geht darum, das Demonstrationsrecht für den eigenen Souverän zu stärken, indem er vor dem Zugriff ausländischer politischer Kräfte bewahrt wird. Auf nichts anderes zielt auch Artikel 16 der Europäischen Menschenrechtskonvention ab. Dazu braucht es überhaupt kein neues Gesetz – und schon gar nicht eines zur höheren Ehre von Erdogan.

Kein Spielball für Tyrannen

Im Gegenteil: Österreich sollte alleinig aufgrund seiner Vergangenheit wissen, wie wichtig es ist, nicht zum Spielball irgendwelcher Tyrannen zu werden. Wir haben das Recht, unsere Freiheit und Unabhängigkeit zu verteidigen.

Hinzu kommt die Verpflichtung zur Neutralität. Bietet sie in diesem Fall nicht ein recht gutes Argument, den Auftritt von fremden Repräsentanten zu untersagen, ohne zu eskalieren? Österreich kann ja gar nicht anders. Selbst wenn wir wollten, müssen wir da nicht Vorsicht walten lassen? Zumal, wenn das eigene Territorium zur Plattform regionaler Verwicklungen und imperialer Sehnsüchte genutzt werden könnte. Und das soll ja bei Erdogan auch nie ganz auszuschließen sein.

(Doron Rabinovici, 17.3.2017)