Freiwilliges Privat-Daten-Sharing ist keine Utopie.

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Unheilspropheten gab und gibt es unzählige. Einst hatten sie die Funktion, vor bedrohlichen (a)sozialen Entwicklungen zu warnen. Heute sagen sie vorher, was ohnedies allen bekannt ist. Binsenweisheiten. Abschlussklassen-Wissen sozusagen.

Stefan Schultz' 2020-Spiegel-Szenario mit Facebook-Zahnbürsten, W-LAN-Kontaktlinsen, Geisterreklamen oder Computer-Kassierern ist freilich kaum mehr als eine (bewusst ironisch) lustvolle Gedankenspielerei, die – und das ist das Verblüffende daran – dennoch befremdlich wirkt. Aber wieso?

Freiwilliges Privat-Daten-Sharing – längst aktuell. Privatisierte Werbung – mittlerweile Standard-Marketing-Lehrinhalt. Versicherungen, die personalisierte Risikofaktoren zu Policen-Erstellung und Leistungsgrundlagenberechnung heranziehen – seit Jahren flächendeckend umgesetzt.

Futuristischer Hokuspokus?

Wieso wirken phantastische Erfindungen wie futuristischer Hokuspokus, sobald man das Wort "Utopie" darüber liest? Wollen wir nicht wahrhaben, dass die Weichen zur (selbst-initiierten!) großangelegten, systematischen Sammlung und Speicherung unser intimsten Daten bereits IT-Alltag sind? Wollen wir wahrhaftig entrüstet sein, wenn jemand auf die Idee kommt, aus den geschenkt bekommenen Informationen Geld zu machen?

Wir argumentieren hochgradig unplausibel, wenn wir unsere Personendaten, schnuckelige Baby-Fotos und GPS-Standorte als Zahlungsmittel für Apps oder Free-Accounts verwenden und im nächsten Atemzug "Datenklau" oder "Überwachung" schreien. So als hätten wir nichts mit alledem zu tun, als seien wir ausschließlich Opfer eines entmenschlichten Systems, das von – Achtung, Kampfbegriff – Großkonzernen regiert wird.

Unbedachtes Handeln

Da hört man dann plötzlich vom gläsernen Menschen, den offenen Büchern und der Notwendigkeit, durch Anpassungen im Datenschutzgesetz therapeutische Notbremsen zu ziehen. Glauben wir uns selbst, was wir vor uns hin predigen? Sind wir ernsthaft davon überzeugt, dass unbedachtes Handeln im Nachhinein durch gesellschaftskritisches Nachdenken und Intellektuellen-Aktivismus rückgängig gemacht werden kann?

Machen wir uns nichts vor. Wir werden die Suppe auszulöffeln haben, die wir uns kollektiv tagtäglich weiter einbrocken. Dazu müssen wir stehen – auch wenn uns das noch überhaupt nicht hilft. Und unsere Kinder werden sich herzlich dafür bedanken, dass wir ihre intimsten (427 Mal gelikten) Momente samt Schnullerfotos der ersten Lebensjahre bereits mit der Welt geteilt haben. (Roman Werner, 30.3.2017)