Viele Fragen: Denn die Verknüpfung an die Bedingung, dass, wenn, dann ausnahmslos alle religiösen Symbole untersagt werden müssten, trifft die betroffenen Religionsgemeinschaften in höchst unterschiedlichem Ausmaß.

Während sich das Kreuz als Anhänger an der Halskette leicht unter der Kleidung verbergen lässt, ist die Kopfbedeckung einer Muslimin (ebenso wie die jüdische Kippa) nicht einfach unsichtbar zu machen. Die Frau wäre gezwungen, sie abzulegen, was einen massiven Einschnitt in die Religionsfreiheit bedeutet. Denn als religiös konnotiertes Kleidungsstück gehört das Kopftuch für viele muslimische Frauen zu ihrer Glaubenspraxis dazu. Ihr Selbstbestimmungsrecht wird somit empfindlich eingeschränkt.

Der EuGH-Beschluss gibt all jenen potenziellen Arbeitgebern, die schon bisher mit der Ausrede "Job bereits vergeben" kopftuchtragenden Musliminnen die Anstellung verwehrten, die Gelegenheit, ihre diskriminierende Einstellung hinter scheinbarer Gleichbehandlung zu verstecken.

Hier wird die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU ausgehöhlt. Seit 2004 hat sie ein Verbot von religiöser Diskriminierung am Arbeitsplatz in der österreichischen Gesetzgebung bewirkt. Immer wieder konnten sich Musliminnen an die Gleichbehandlungsanwaltschaft wenden, und es kam zu Urteilssprüchen gegen Arbeitgeber, die eine Frau wegen ihres Kopftuchs nicht eingestellt hatten.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit durch Berufstätigkeit ist ein Schlüsselfaktor, um Frauen nicht in die Abhängigkeit von einem männlichen "Ernährer" zu bringen. Eine Behinderung der Berufstätigkeit muslimischer Frauen ist somit eine Stärkung patriarchaler Strukturen, die ja dem Islam gerne angelastet werden. Gerade Männern mit einem engstirnigen Rollenverständnis wird aber nun ein willkommenes Argument geliefert, die Ambitionen von Frauen, sich im Beruf zu verwirklichen, als unrealistisch darzustellen und sie in die klassische Hausfrauenrolle zu drängen.

Gesellschaftspolitisch sind die negativen Folgen einer Ausgrenzung sichtbarer Musliminnen im Berufsleben gar nicht absehbar. Viele positive Beispiele zeigen, dass die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion ein entscheidender Faktor ist, den sozialen Zusammenhalt in einer pluralistischen Gesellschaft zu stärken. Wer diese Unterschiede in die Unsichtbarkeit drängen will, betreibt nicht Gleichbehandlung, sondern Gleichmacherei.

Bleibt die Hoffnung, dass der Arbeitsmarkt selbst sich für Musliminnen verstärkt öffnet. Schon jetzt sind im Verkauf immer öfter Musliminnen zu sehen, deren Kopfbedeckung in die Firmenkleidung integriert ist. Der Markt kann vielleicht mehr noch als die Gesetzgebung gesellschaftliche Trends so mitgestalten, dass ein Wir-Gefühl in der Gesellschaft gefördert wird. Inklusion von Musliminnen nicht nur als Konsumentinnen, sondern auch als Berufstätige ist dabei ein entscheidender Faktor. (Carla Amina Baghajati, 15.3.2017)