Es war der 10. November 2016, ein verregneter Herbstnachmittag im kalten Wien. Da wurde der Beginn der Triester Straße zum Beginn meiner Weltreise. Unweit des Reumannplatzes hielt ich ein Kartonschild in die Höhe, gut sichtbar für die hunderten Autofahrer, die stadtauswärts daran vorbeifuhren.

"Südamerika" konnten all jene darauf lesen. Wir, das sind mein norwegischer Reisekompagnon Martin und ich, machten uns ein Dosenbier auf und ließen die fragwürdigen Blicke skeptischer Passanten an uns vorbeiziehen. Einige lachten, ein paar mehr schüttelten den Kopf, wussten augenscheinlich nicht, ob sie den Arzt oder die Polizei rufen sollten. Niemand hielt an. Es fuhr wohl keiner nach Südamerika.

Atlantiküberquerung im Katamaran

Als ich diese Zeilen schreibe, sitze ich auf einem 38-Fuß-Katamaran und segle über den Atlantik. Der schwache Passatwind weht mit rund zehn Knoten und schiebt lange Wellen unter das Kiel, lässt das Boot seit vierzehn Tagen in ihrem Takt schaukeln. Mal heftiger, heute ruhiger. Mehr als drei Viertel der insgesamt 2600 Seemeilen weiten Atlantik-Odyssey liegen hinter mir. 700 Seemeilen trennen mich noch von der Karibik. Es faszinierte mich die Idee von Wien nach Amerika zu reisen – ohne zu fliegen, dafür mit der Hilfe von Fremden. Per Anhalter also.

Ich habe mir eine Auszeit von vierzehn Monaten genommen, um mir einige Ecken der Erde genauer anzusehen und darüber zu schreiben. Wenig Geld, volles Leben, so mein Credo. Auf Tuchfühlung mit der Welt. Die ersten drei Monate sind vorbei. Zwischen der Triester Straße und dem Hafen der Karibikinsel Guadeloupe liegen nicht nur knapp 9.000 Kilometer Straßen- und Seelinie. Sondern auch eine Welt von Menschen, Geschichten und Abenteuern, zu der mir erst diese Art des Reisens Zugang gewährte. 

#1 Die ersten Schritte einer Weltreise

Bis weit über die österreichischen Landesgrenzen hinaus fühlten wir uns mit unserem Vorhaben nicht sonderlich ernst genommen. In den ersten Tagen wussten wir zuweilen selbst nicht, wohin uns das alles führen sollte. Zunächst einmal über Graz und Mailand nach Nizza, wo mir ein dreitägiger Zwischenstopp Zeit für eine erste Bilanz gab.

In drei Tagen von Wien über Mailand bis zur Strandpromenade von Nizza.
Foto: Jakob Horvat

#2 Per Anhalter durch Europa – Höhen und Tiefen

In drei Wochen nach Lissabon. Als Hitchhiker und Couchsurfer öffnen wir dem Unbekannten Tür und Tor und wissen im einen Moment nicht, was der nächste bringt. Das ist zunächst einmal ein Abenteuer. Meine Erfahrungen als Anhalter hielten sich bis dato in Grenzen. Es sind dies für mich ein paar recht sportliche Schritte hinaus aus meiner Komfortzone. Wer so reist, kann gar nicht anders, als Land und Leute kennenzulernen – und sich selbst. Denn lustig ist es nicht immer.

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Auf diesem Abschnitt meiner Reise erlebe ich eine Tanzeinlage frühmorgens an einem Kreisverkehr in Barcelona. Und Verzweiflung darüber, dass wir in acht Stunden nur vierzig Kilometer zurückgelegt haben. Und dass das eine zum anderen gehört wie das Amen zum Gebet.

Siebzig Kilometer in elf Stunden. Per Anhalter reisen kann frustrieren.
Foto: Jakob Horvat

#3 Reisen ohne Geld. Die Sonderchallenge.

Nach einer elftägigen Pause in Lissabon fühlten wir uns stark genug, etwas Neues auszuprobieren. Die neue Mission: In drei Tagen von Lissabon bis Südportugal – ohne einen einzigen Cent auszugeben. Damit begaben wir uns ganz bewusst in die Abhängigkeit von fremden Menschen. Zwei Nächte verbrachten wir in einem Dorf, dessen Namen wir zuvor noch nie gehört haben. Das brachte mir eine Dimension von Gastfreundlichkeit näher, die mir neu war.

Reisen ohne Geld verbessert die Social Skills und Weltgewandtheit, wandelt Angst vor Fremden um in Neugierde und Offenheit. Ich habe mehrere Ideen ausprobiert, die für mich funktioniert haben. Und die auch – so weit lehne ich mich an dieser Stelle gerne aus dem Fenster – abseits vom Reisen ohne Geld die Welt ein kleines Stück besser machen können. Dafür muss man nur offen für Neues sein, Menschen helfen und sich selbst nicht zu Schade sein, um um Hilfe zu fragen.

In drei Tagen ohne Geld von Lissabon nach Aljezur in Südportugal.
Foto: Jakob Horvat

#4 Sieben Tage am offenen Meer. The peak of challenge.

Die Skepsis ist verflogen. Je weiter wir uns der portugiesischen Küste nähern, je mehr Strecke wir per Anhalter hinter uns bringen, desto glaubwürdiger erscheinen wir unseren Weggefährten.

"Ich glaube nur, was ich sehe", quasi. Wer kann ihnen diese Mentalität auch verübeln? Wir selbst zweifeln zuweilen an unserer Ausdauer. Dabei haben wir den größten Berg immer noch vor uns. Oder besser gesagt: den zweitgrößten Ozean.

Die erste Etappe von Portimao in Südportugal bis Teneriffa habe ich gründlich unterschätzt. Seemeilenweit habe ich meine Komfortzone hinter mir gelassen – ohne Chance auf unmittelbare Rückkehr. Seekrankheit, die immer gleiche Umgebung ständiger Wellenberge und eine sonderbare Stimmung an Bord haben mich an meine Grenzen gebracht. Die siebentägige Seereise wurde zu meiner bisher größten Herausforderung. Auf die Frage, warum ich mir das eigentlich antue, konnte ich mir selbst keine schlüssige Antwort mehr geben.

Dann kam der Moment – Tag drei, irgendwo zwischen Abendessen "retourjausnen" und Nachtwache am Steuer – da wollte ich die Mission für gescheitert erklären und den Atlantik ab den Kanarischen Inseln per Flugzeug überqueren. Doch hat mir diese Erfahrung neben sehr viel Meer vor allem Eines gezeigt: Dass die Grenzen, die ich für meine persönlichen halte, bei Weitem nicht jene des Möglichen sind. Und dass sich – wenn einmal gemeistert – hinter der Herausforderung ein ganzer Ozean an Potential verbirgt, mit so viel "Ich erobere die Welt"-Gefühl, dass ich es kaum erwarten kann, dorthin zurückzukehren. (Jakob Horvart, 27.3.2017)

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Gründlich unterschätzt: sieben Tage am offenen Meer von Portimao nach Teneriffa.
Foto: Jakob Horvat