Bundeskanzler Christian Kern sagte im "ZiB 2"-Interview im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung Erdoğan – Europa, es sei ein Angriff des politischen Islam auf die Werte Europas. Und, gemünzt auf die hemmungslosen und absurden Vorwürfe vor allem Erdoğans an verschiedene europäische Regierungen: Man könne sich nicht alles gefallen lassen.

Kann man auch nicht. Sonst wäre das nämlich Appeasement-(Beschwichtigungs-)Politik, die historisch zu nichts geführt hat. Man kann nicht dulden, was etwa der Chef des Erdoğan-Lobbyvereins UETD auf Puls 4 gesagt hat: Die Türken würden in Europa "wie die Juden in der NS-Zeit" behandelt. Was zu viel ist, ist zu viel.

Tayyip Erdoğan will in einer Mischung aus kalkulierter Provokation und nationalistischer Selbstüberschätzung die Europäer in die Knie zwingen. Sie sollen ihre aus seiner Sicht lächerlichen Versuche aufgeben, von der Türkei halbwegs demokratische und zivilisatorische Mindeststandards zu verlangen; und sie sollen dulden, dass er sich unter den Türken und Türkischstämmigen in Europa eine jederzeit mobilisierbare Gefolgschaft schafft.

So gesehen, will Erdoğan aber sehr wohl "nach Europa". Zwar nicht im Sinne eines EU-Beitritts, aber in Form eines harten Zugriffs auf die türkische und türkischstämmige Bevölkerung in Europa und dem gezielten Bestreben, die politische und soziale Stabilität in den europäischen Ländern zu stören und türkischer Großmannspolitik gefügig zu machen.

Eine Leserin weist darauf hin, dass der türkische Premier und unbedingte Erdoğan-Gefolgsmann Binali Yıldırım bei seinem Auftritt im deutschen Oberhausen den Begriff "akincilar" benutzte ("ihr seid die Vortruppe"). Im engeren Sinn waren die Akinci die leichte Reiterei, die als Vorhut der osmanischen Armee Schrecken unter den Europäern verbreitete.

Ein anderer Leser berichtet, er habe als Mitglied der Wahlkommission bei der Bundespräsidentenwahl in Wien-Simmering unter den ungültigen Stimmen etliche gefunden, bei denen die Namen Hofer und Van der Bellen durchgestrichen und dafür "Erdoğan" hingeschrieben war.

Wie "gefährlich" ist es, Erdoğan mit einer Mischung aus Coolness und Festigkeit zu begegnen? Sicher nicht so günstig für österreichische Exportunternehmen. Aber umgekehrt ist die Türkei auf den europäischen Exportmarkt, den Tourismus – und auf EU-Zahlungen – angewiesen. Die Drohung, den Flüchtlingsdeal mit der EU aufzukündigen, stößt Erdoğan schon seit Monaten aus. Aber aus verschiedenen Gründen hat er diesen Schritt nicht getan.

Unter anderem, weil er sich außenpolitisch in die Enge manövriert hat. Die arabischen Staaten betrachten ihn und seine neo-osmanische Rhetorik mit größtem Misstrauen. Will er es sich mit Europa auch noch total verscherzen? Die neue Freundschaft mit Wladimir Putin ist ein schwacher Ersatz.

Bei einer so egogesteuerten Persönlichkeit muss man die ultimative Konfrontation möglichst vermeiden. Aber man muss durch viele kleinere Maßnahmen klar machen, dass man sich eben nicht alles gefallen lässt. (Hans Rauscher, 14.3.2017)