Wien – Der englische Begriff "heavy" kann zwar im Deutschen unter anderem als "heftig, schwer, schwierig, stark, bleiern" gedeutet werden. Sehr oft assoziiert man damit auch in den sehr späten 1970er-Jahren wohnende Männer in weißen Adidas-Turnschuhen, über denen sich weiter oben zu enge Hosen, zu martialische Band-T-Shirts, zu goldener Goldschmuck und zu gewucklerte Minipli-Frisuren einen Wettkampf in Sachen Wegschauen liefern, während Gitarrist und Sänger jaulen, weil sie die Finger in der Autotür eingeklemmt kriegen.

Brachialelektroniker Kevin Martin alias The Bug und Endzeit-Western-Gitarrist Dylan Carlson von Earth beschwören die "Concrete Desert".
Foto: Phil Sharp

Der Musikstil Heavy Metal hat wie so vieles im Leben sicher schon bessere Tage gesehen. Dessen Grundidee, mittels größtmöglicher Härte und Erdschwere sowie der damit verbundenen Verschiebung tektonischer Platten das Tor zur Hölle aufzubrechen, um Satans ältester Schwester alte Black-Sabbath-Singles statt mit 45rpm auf 33rpm vorzuspielen, hat US-Gitarrist Dylan Carlson schon in den frühen 1990er-Jahren herausgearbeitet.

Mit seinem Duo Earth und dem bahnbrechenden Album Earth 2 legte er die verzerrten tiefergestimmten Gitarren auf Eis und verlangsamte dadurch die Pulsfrequenz Richtung Hausschildkröte im Winterschlaf. Alle zehn, zwanzig Sekunden wurden die Gitarren angeschlagen. Die Hosenbeine flatterten. Man bekam Beklemmungen und Schwindelgefühle. Niemand lachte. Niemand sang. Keiner spielte Schlagzeug. Keine unnötige zusätzliche Idee verstellte den Hörgenuss.

Reiner fetter, den ganzen Weltenraum einnehmender, überwältigender Heavy-Sound. Sogar die Erdumdrehung verlangsamte sich dank Earth 2 nachweislich um einige Hunderttausendstelmikrosekunden. Edle Einfalt. Die Größe war definitiv nicht still.

Diese Tradition wird heute von Schülern wie SunnO))) fortgeführt. Dylan Carlson interessiert sich seit gut einem Jahrzehnt eher für die verhallte Twang-Gitarre, die wir aus Spaghetti-Western kennen. Tatsächlich zum Trio mit Schlagzeug gewachsen, spielen Earth heute zwar nach wie vor dröhnenden "Ambient-Metal". Die Heavyness erschließt sich allerdings eher als verhalltes gitarristisches Mondanheulen in Zeitlupe. Der Westen ist wild, die Prärie ist weit, vor dem Showdown lassen wir uns noch ein bisschen Zeit. Das Album Hex; Or Printing in the Infernal Method von 2005 ist übrigens ein Meisterwerk!

Ninja Tune

Dylan Carlson hat sich nun für das Projekt und Album The Bug Vs Earth – Concrete Desert (Ninja Tune) mit dem britischen Elektronikproduzenten Kevin Martin alias The Bug zusammengetan, ebenfalls ein Veteran aus den frühen 1990er-Jahren. Auch Kevin Martin wird eng mit dem Begriff "heavy" assoziiert. Allerdings kommt er nach Projekten wie Techno Animal, God, Ice oder zuletzt King Midas Sound eher vom aus Reggae destillierten Dub. Auch dessen Betriebstempo ist dank Rauchwaren gern im Modus des ganzjährigen Winterschlafs gehalten. Allerdings schlagen dazu höllenschlundtiefe Bässe im Club den Innenverputz herunter.

Morricone-Gitarren

Die mindestens atmosphärischen, ebenso bedrohlichen wie dank Carlsons Morricone-Gitarre immer wieder auch von melancholischer Wehmut und nostalgischer Hoffnung durchzogenen, auf tonnenschweren Dub-Beats und flirrender Elektronik beruhenden Instrumentals von Concrete Desert wurden in Los Angeles aufgenommen. Sie legen Kevin Martins dystopisches The-Bug-Album London Zoo von 2008 über den sozialpolitischen Niedergang seiner alten Heimatstadt in Stücken wie American Dream, Don't Walk these Streets oder City of Fallen Angels auf L.A. um.

Glasklar die Luft schneidende, im Nirgendwo zwischen Klischee, Kitsch und Untergang irrlichternde Gitarren weisen Dylan Carlson einmal mehr als einen Prediger der Apokalypse aus, der nicht einmal den Mund aufmachen muss, um uns mitzuteilen, dass das Ende vielleicht nicht wirklich einen Schlusspunkt bedeuten muss. (Christian Schachinger, 15.3.2017)