"Faire Bezahlung ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Mitarbeitermotivation, sondern auch der Gesundheit", sagen die Studienautoren.

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In Europa sind immer mehr Menschen trotz eines Vollzeitjobs von Armut bedroht. Das zeigte eine von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte Untersuchung Ende 2016. Konkret stieg der Anteil der von Armut bedrohten Vollzeitbeschäftigten der Untersuchung zufolge von 5,1 Prozent im Jahr 2009 auf 7,1 Prozent im Jahr 2015.

Als unfair empfundene Gehälter können aber auch per se negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Diesen Schluss legt zumindest ein Laborexperiment der Ökonomen Armin Falk und Fabian Kosse vom Institute on Behavior & Inequality (briq) in Bonn nahe.

Die Forscher teilten für ihre Studie 80 Studenten in zweiköpfige Teams aus "Vorgesetzte" und "Arbeiter" auf. Die Arbeiter mussten 25 Minuten lang eintönige Rechenaufgaben lösen, während sich die Chefs entspannen durften. Je mehr Zahlen die Arbeiter richtig addierten, desto mehr Geld erwirtschaftete das Team. Danach teilten die Chefs den Gewinn willkürlich zwischen beiden auf. In der Regel bedachten sie die Arbeiter mit einem geringeren Gewinnanteil, als von Außenstehenden als fair betrachtet wurde.

Ungerechtigkeit und Gesundheit

Das Ergebnis der Untersuchung: Die erlebte Ungerechtigkeit versetzte die Arbeiter in Stress. Dazu wurde die Herzfrequenzvariabilität (HFV) der Probanden gemessen. Die HFV gibt an, wie sehr die Länge zwischen den Herzschlagintervallen schwankt. Im allgemeinen sprechen größere Schwankungen für eine höhere vegetative Regulationsfähigkeit des Organismus und damit für eine stärkere Lebensenergie. Eine niedrige HFV signalisiert hingegen mentale Belastung und deutet auf ein erhöhtes Risiko koronarer Herzerkrankungen hin. Die Auswertung der Versuchsdaten ergab: Je stärker die Bezahlung von einer als fair erachteten Summe abwich, desto ausgeprägter war die körperliche Stresssymptomatik.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass der menschliche Körper auf soziale und kontextbezogene Informationen reagiert und sie systematisch verarbeitet", erklärt Fabian Kosse. Die Kurzfristeffekte aus dem Laborexperiment decken sich den Forschern zufolge auch mit den Ergebnissen langfristiger Erhebungen: Auf Basis von Befragungsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ermittelten die Forscher einen klaren Zusammenhang zwischen gefühlter Lohnungerechtigkeit und eigenem Gesundheitszustand.

Einen Teufelskreis in Gang setzen

Je häufiger die Befragten ihren Lohn als unfair empfanden, desto schlechter schätzten sie ihre Gesundheit ein. Eine genauere Analyse zeigte, dass die Betroffenen vor allem häufiger unter Herzkrankheiten litten. Die Studienautoren betonen, dass die negativen Gesundheitseffekte unfairer Entlohnung beträchtlich seien: Sie entsprechen einer körperlichen Alterung um bis zu zehn Jahre oder einem Einkommensrückgang um monatlich mehr als 1.000 Euro netto.

"Faire Bezahlung ist also nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Mitarbeitermotivation, sondern auch der Gesundheit. Dieser Aspekt wird in der politischen und öffentlichen Diskussion bislang vernachlässigt", sagt Armin Falk.

Die Ökonomen sehen zudem die Gefahr, dass die Rückkopplung zwischen dem menschlichen Körper und seinem sozialen Umfeld zum Teufelskreis wird: Wenn unfaire Entlohnung neben der Arbeitsmoral auch den Gesundheitszustand verschlechtert, dann sinken mit abnehmender Leistungsfähigkeit die Verdienstchancen auf dem Arbeitsmarkt, was die gefühlte Ungerechtigkeit weiter verstärkt. (red, 16.3.2017)