Wien – Das Strafverfahren gegen Ümit Ö. ist durchaus vielschichtig. Es geht unter anderem um Ehre, eine seltsame Anklage und konfuse Zeugenaussagen. Dem zweifach vorbestraften 27-Jährigen wird versuchte absichtliche schwere Körperverletzung vorgeworfen: Er soll einem Kontrahenten mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen haben.

Das Eigenartige an der Anklage: Nicht einmal das Opfer behauptet, dass bei der Auseinandersetzung eine Eisenstange verwendet worden sei. Der 14-jährige Zeuge, der diese Waffe ins Spiel gebracht hat, sagt nun, gesehen habe er sie zwar nicht, aber alle hätten davon gesprochen. Dass Polizisten am Tatort einen derartigen Gegenstand gefunden haben sollen, haben wiederum diese nirgends festgehalten.

Schwester mit Fremden gesehen

Die Staatsanwaltschaft hat offenbar auf Verdacht einmal das Schlimmstmögliche angeklagt, der Schöffensenat unter Vorsitz von Claudia Geiler muss darüber entscheiden. Die Anklägerin liefert auch ein Motiv für den Streit: Das Opfer habe die 31 Jahre alte Schwester des Angeklagten getroffen, dieser habe das beobachtet und sei schließlich ausgerastet.

Hört man die Aussage des von Philipp Winkler verteidigten gebürtigen Österreichers, könnte man zunächst noch Vorurteile vermuten. Ö. bekennt sich teilschuldig: "Ja, ich habe Herrn B. mit den Fäusten geschlagen und verletzt. Er hat mich zuerst angegriffen, aber vielleicht habe ich überreagiert."

"Wild gestikuliert"

Die Geschichte beginnt zu Mittag des 21. Dezember vor der Schule der Nichte des Angeklagten. Er hatte seinen Bruder dort hingefahren und wartete im geparkten Auto auf dessen Rückkehr. "Ich habe am Handy gespielt und plötzlich auf der Straße meine Schwester mit einem wildfremden Mann gesehen. Er hat wild gestikuliert, ich habe das so aufgefasst, dass es Probleme gibt."

Die wohl in jedem Kulturkreis verständliche Reaktion: Er stieg aus und ging zu den beiden hin, um die Situation zu klären. "Es ist dann ein Streit herausgekommen, wir waren beide nicht freundlich", gibt der Angeklagte zu. Als sein Bruder sich dazugesellte, sei die Situation aber eigentlich geklärt gewesen.

"Ich bin zum Auto zurückgegangen, da hat der andere 'Schleich dich!' gesagt. Ich bin zurück, habe ihm erklärt, dass er so nicht mit mir redet." Da habe der Kontrahent auch schon versucht, ihn mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.

Jahrelange Kampfsporterfahrung

Dank jahrelanger Kampfsporterfahrung habe er den Schlag abblocken können und sei zum Gegenangriff übergegangen. Dass er ziemlich oft mit der Faust auf Kopf und Brustbereich des Gegners eingeschlagen habe, leugnet Ö. nicht. Nur: "Als er blutend am Boden gelegen ist, habe ich aufgehört." Und weder eine Eisenstange noch der von Opfer Mustafa B. behauptete Schlagring habe eine Rolle gespielt.

"Warum sollen unabhängige Zeugen das behaupten?", wundert sich die Staatsanwältin. "Ich weiß nicht, vielleicht haben sie es falsch wahrgenommen. Ich hatte meinen Autoschlüssel in der Hand, da ich ja schon auf dem Weg zum Wagen war."

Verteidiger Winkler sagt logischerweise, aber nicht ganz zu Unrecht, dass er seinem Mandanten glaube. Beim Opfer wurden zwei Platzwunden am Kopf und Prellungen diagnostiziert. "Wenn man mit einer Eisenstange geschlagen wird, hat man ganz andere Verletzungen!"

10.000 Euro Schmerzensgeld gefordert

Der 34 Jahre alte B. will trotz der an sich leichten körperlichen Verletzungen 10.000 Euro Schmerzensgeld. Er sei nämlich psychisch noch schwer geschädigt. "Ich kann seit drei Monaten kaum mehr schlafen!", berichtet er dem Senat. Erwähnenswert ist, dass auch der Verletzte jahrelang Kampfsport betrieben hat und eine körperlich noch imposantere Erscheinung als der Angeklagte ist.

B. schildert seine Version: Ö.s ihm zuvor unbekannte Schwester habe ihn wenige Tage vor dem Vorfall via Internet kontaktiert und wollte sportliche Trainingstipps. Da er zufällig in die Gegend der Schule musste, wo die Schwester wohnt, habe er ein Treffen vereinbart. Er habe ihr einen Trainingsplan und Aufbaupräparate geben wollen.

Als sie auf der Straße standen, sei plötzlich der Angeklagte ausgestiegen und habe sofort zu schimpfen begonnen, da er offenbar eine Affäre vermutete. "Schauen Sie, ich bin verheiratet und habe zwei Kinder", liefert der Zeuge dem Senat als Begründung, warum das absurd sei.

"Von A bis Z beschimpft"

B. behauptet, völlig ruhig gewesen zu sein. Dann sei auch der Bruder dazugekommen, die Sache habe sich in Wohlgefallen aufgelöst. "Der Angeklagte ist zum Auto gegangen, plötzlich zurückgekommen und hat mich A bis Z beschimpft!" Unter anderem mit der Drohung, sowohl mit der Frau als auch der Mutter Geschlechtsverkehr ausüben zu werden.

Der bullige Zeuge redet sich immer mehr in Rage. "Ich habe trotzdem noch mit dem Bruder gesprochen, plötzlich habe ich von hinten einen Schlag auf den Kopf bekommen, und dann wurde ich verprügelt!", braust er auf. "Warum kämpfst du nicht wie ein Mann?", fährt er den Angeklagten an.

Das lässt Vorsitzende Geiler nachfragen, ob es für seine andauernde psychologische Beeinträchtigung nicht vielleicht einen anderen Grund geben könnte. "Ich glaube eher, es geht Ihnen um die Kränkung. In Ihrem Kulturkreis ist das vielleicht ein Problem", mutmaßt sie. "Wenn nicht männlich gekämpft wird!", hört sie als Antwort.

Schwester frisch geschieden

Die Schwester und der Bruder des Angeklagten unterstützen naheliegenderweise eher dessen Version. Auch beim Bruder fragt Geiler nach. "Warum ist das eigentlich so ein Problem, mit wem Ihre Schwester spricht? Sie ist ja erwachsen?" – "Jaaaaa, aber sie wurde vor sechs Monaten geschieden und hat zwei Kinder."

Der 14-jährige Schüler, der damals Zivilcourage zeigte und die Streitenden trennte, und eine weitere Passantin demonstrieren, dass Zeugenaussagen oft etwas schwierig zu deuten sind. Beide bleiben im Brustton der Überzeugung dabei, dass ihre Darstellung stimme. Nur: Die widersprechen sich teils erheblich und zusätzlich in Dingen, die weder Angeklagter noch Opfer behaupten.

Da andere Beobachter verhindert sind, muss Geiler auf den 24. April vertagen. (Michael Möseneder, 14.3.2017)