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Seit vergangener Woche ist Tunesien für Deutschland kein sicheres Herkunftsland mehr. Der Grund dafür ist unter anderem die Diskriminierung Homosexueller.

Foto: REUTERS/Darren Ornitz

Tunis/Madrid – Der bloße Verdacht eines Polizeibeamten reichte, um zwei Tunesier, Achref und Sabri, am Freitag zu acht Monaten Haft zu verurteilen. Dem 20- und dem 21-Jährigen wird vorgeworfen, schwul zu sein. "Du hast etwas mit deinem Liebhaber angestellt" und "Ihr seid ein Fluch für dieses Land", schimpfte der Beamte, der sie im Dezember im Mittelmeerort Sousse verhaftet hatte. Auf der Wache wurden die beiden geschlagen und misshandelt.

Außerdem wurde an den beiden auf der Wache die in mehreren afrikanischen Staaten übliche Analuntersuchung durchgeführt. Dabei mussten sie sich mit heruntergelassener Hose, wie "zum Gebet", hinknien. Der Test, der von vielen Menschenrechtsorganisationen als "völlig entwürdigend" und sogar als Folter gebrandmarkt wird, verlief negativ. Dennoch wurden Achref und Sabri jetzt als Homosexuelle verurteilt. Bis zum Berufungsverfahren sind die beiden auf freiem Fuß.

Paragraf 230 weiter in Kraft

Achref und Sabri sind kein Einzelfall im Geburtsland des arabischen Frühlings. Der Paragraf 230 des tunesischen Strafrechts, der noch aus der französischen Kolonialzeit stammt, verfolgt homosexuelle Handlungen mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Trotz umfassender Reformen des Strafgesetzbuches nach der Revolution von 2011 ist dieser Paragraf weiterhin in Kraft.

Laut Menschenrechtsorganisationen werden pro Jahr rund 60 bis 70 angebliche Homosexuelle unter der Anschuldigung des Paragrafen 230 festgenommen. Die meisten wandern für einen bis vier Monate hinter Gitter. 2015 wurden sechs junge Männer zur Höchststrafe von drei Jahren Haft sowie zu fünf Jahren Verbannung aus ihrer Heimatstadt Kairuan verurteilt.

LGBT-Anwalt: "Fehlender politischer Wille"

Eine Abschaffung des Paragrafen ist nicht in Sicht. Die Regierung beruft sich auf die Religion und die konservative Einstellung vieler Tunesier. "Ich denke, es ist kein Problem des Konservatismus der Gesellschaft, sondern eine Frage des politischen Willens", sagt der Anwalt Munir Baatour. Er ist Vorsitzender von Shams (Sonne), einer Organisation, die für LGTB-Rechte kämpft.

Baatour verweist darauf, dass in Tunesien nach der Unabhängigkeit die Abtreibung freigegeben und die Polygamie verboten sowie das Recht auf Scheidung für Frauen eingeführt wurde, obwohl die Gesellschaft damals noch konservativer war als heute. Die Shams-Mitglieder werden immer wieder Opfer öffentlicher Anfeindungen und selbst von Morddrohungen. Der ehemalige stellvertretende Shams-Vorsitzende Ahmed Ben Amor hielt den Druck im vergangenen Sommer nicht mehr aus und versuchte sich selbst zu töten. Er überlebte zum Glück.

Österreich schiebt nach Tunesien zurück

Auch in Deutschland sorgt die Lage der Homosexuellen in Tunesien für Debatten. Der Bundestag hatte das nordafrikanische Land als "sicheres Herkunftsland" eingestuft, in das Flüchtlinge abgeschoben werden dürfen. Die deutsche Regierung und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gehen davon aus, dass in Tunesien keine systematische Verfolgung von Homo- und Transsexuellen stattfindet. Das Queer Refugees Network Leipzig beschwerte sich im Jänner, dass kein einziger der von ihm betreuten Asylwerber aus Tunesien anerkannt worden war. Der deutsche Bundesrat kippte am vergangenen Freitag die Einstufung Tunesiens als "sicher". In Österreich gilt Tunesien seit dem Vorjahr als sicheres Herkunftsland, in das zurückgeschoben wird. (Reiner Wandler, 13.3.2017)