"Halbe/Halbe" – Frau und Mann in Küchenschürzen, verbunden auch in Alltagspflichten, interpretiert von Künstlerin Ina Loitzl.

Foto: Ina Loitzl

"Dass Männer kochen, das hat Sex-Appeal. Beim Kloputzen, da sieht man es dann wirklich", sagt die Bildungswissenschafterin Barbara Herzog-Punzenberger.

Foto: Robert Newald

Esra Özmen tritt unter dem Namen EsRAP gemeinsam mit ihrem Bruder Enes auf.

Foto: privat

STANDARD: Die britische Schauspielerin Emma Watson wurde scharf kritisiert, weil sie sich als Feministin bezeichnet, aber für eine Modezeitschrift nur in einem grobgestrickten Jäckchen ablichten ließ. Stehen Emanzipation und nackte Haut im Widerspruch?

Özmen: Für mich hat Nacktheit etwas von Protest. Ich hab konzeptuelle Kunst studiert. Wenn ich eine nackte Frau vor dem Parlament sehe, weiß ich, da geht es um Frauenrechte, weil ich das Motiv erkennen kann. Die Frage ist aber, wo ich was zeige. Im Rap ist das Frauenbild sehr schiach. Es geht um Männer, die ein hartes Leben hatten und durch ihre Musik jetzt voll im Business stehen. Die Frauen können sie sich quasi erkaufen, sie sind wegen des Geldes bei ihnen, sie sind die Bitches, die am großen Auto tanzen und aus Geldgier daran lecken. Diese Bilder sind schwer problematisch. Wenn ich als Rapperin mit Minirock und tiefem Ausschnitt auf die Bühne ginge, würden sich deshalb bestimmt viele denken: Das ist eine Bitch. Es ist ein schmaler Grat.

Herzog-Punzenberger: Wesentlich ist, dass man die Herrschaft über seinen Körper hat und zeigt, was man selbst will. Aber natürlich muss mir bewusst sein, dass die Rezipienten ihre eigenen Muster haben. Ob und wie ich damit spielen kann, ist sehr unterschiedlich je nach Publikum.

STANDARD: Wie lässt sich weibliche Selbstbestimmtheit erkennen?

Herzog-Punzenberger: Menschen, die studiert haben, haben einiges an Instrumenten, um zu interpretieren. Die verstehen, wenn etwas ironisch ist oder eine Replik, ein Zitat. Aber viele Leute, denen dieses Wissen nicht zur Verfügung steht, tun sich da schwerer. Einige Vanity Fair -Leser werden nicht erkennen, dass Emma Watson eine Geste der Selbstbestimmung setzt, indem sie sich leichtbekleidet ablichten lässt. Die Macht darüber, dass alles immer so aufgefasst wird, wie von mir intendiert, die hat man nicht.

Özmen: Ich hab erst auf der Uni gelernt, was Feminismus überhaupt ist. Ursprünglich wurde mir beigebracht, dass Männer arbeiten gehen und Frauen eher zu Hause bleiben. Das wurde so oft wiederholt, dass ich das Wiederholte als richtig empfunden habe. Es ist schwer, davon wegzukommen, man glaubt ja an diesen Bullshit. Aber schuld sind nicht die, die sich nicht mit Feminismus aus-einandersetzen, und auch nicht einzelne Sexisten, schuld ist das System. Solange Frauen weniger verdienen als Männer, so lange sind wir weniger wert. Solange Feminismus nicht in der Schule vermittelt wird, können wir nicht die Menschen verurteilen, die nichts über das Thema wissen.

STANDARD: Wie lässt sich Feminismus vermitteln?

Herzog-Punzenberger: Schule ist ein wichtiger Ansatzpunkt. Man kann das Feld nicht alleine den Eltern überlassen. Das System gibt die Interpretationen vor. Es sollte in der Schule daher ein fixer Bestandteil sein, zu vermitteln, dass die Realität eine soziale Konstruktion ist. Feminismus könnte man anhand des sich wandelnden Frauenbildes in Österreich in den vergangenen hundert Jahren erklären. In den Siebzigern war es noch normal, dass nur der Haushaltsvorstand Volkszählungsfragebögen ausfüllen darf, weil nur der weiß, was Sache ist. Das ist nicht lange her. Es geht um das gemeinsame Bemühen um eine andere Gesellschaft. Man kann etwas verändern, das zeigt die Geschichte.

Özmen: Ich war in einer Hauptschule mit 25 Jugendlichen in meiner Klasse, 24 davon waren Migranten. Im Gymnasium war ich dann die einzige Ausländerin. Meine Mitschüler aus der Unterstufe haben alle eine Lehre gemacht, was nicht schlecht ist, aber soziale Kompetenzen, der Austausch über solche Themen, der wurde ihnen nicht geboten. Würde man diese Kinder erreichen, würden die ihr Wissen auch an ihre Eltern weitergeben. Meine Mutter lässt sich jetzt auch von mir was sagen, weil sie sich denkt, Esra ist gebildeter. In Ottakring hab ich viele junge Migranten gesehen, die ihre Eltern an der Hand in die Wahllokale gezogen haben. Kinder haben Macht.

STANDARD: Eigentlich ist die Emanzipation die Selbstermächtigung der Frau. Heute stammen viele Feministinnen selbst aus sehr privilegierten Milieus. Kann man den Kampf für andere austragen?

Özmen: Ich komme aus einem türkischen Umfeld. Ich kenne Frauen mit Kopftuch, Freundinnen meiner Mutter, die voll unterdrückt wurden – Zwangsehe und so was. Die haben keine Stimme. Die können nicht einmal die deutsche Sprache, wie sollen die reden? Die haben keinen Platz in der Gesellschaft, und dann reden die Leute, die privilegierten weißen Personen, die sagen: Die brauchen, die sollen.

STANDARD: Muss sich erst wieder eine neue Form von selbstermächtigendem Feminismus entwickeln?

Herzog-Punzenberger: Es ist die Aufgabe der privilegierten Feministinnen, Frauen zu unterstützen, die nicht von vornherein die Möglichkeit haben. Das ist nicht einfach, ohne erst recht wieder paternalistisch zu sein, ohne zu sagen, ich mach das jetzt für dich, weil ich weiß es besser. Wir kennen das aus der Black-Power-Bewegung. In Österreich haben wir eine andere Konstellation mit Migrantinnen aus der Türkei und anderen Ländern. Den richtigen Weg zu entwickeln ist jedenfalls aufwendige Arbeit.

Özmen: Derzeit sind Frauen untereinander sehr belehrend. Die eine hat keine Ahnung, die nächste ist zu nackt, wir geben die Schuld dauernd anderen Frauen weiter. Das System greifen wir nicht an. Wir sollten mit weniger Zeigefinger an die Sache herangehen.

STANDARD: Was bedeutet es heute, Feministin zu sein?

Özmen: Ich mache mir wenig Gedanken, was Feminismus für andere ist. Ich lebe Feminismus, indem ich lebe, wie ich leben will als Frau. Und das zeige ich. Ich bestimme meine Möglichkeiten selbst. Es gibt ständig neue Richtlinien, auch innerhalb des Feminismus, ich kann und will mich nicht an alles halten.

Herzog-Punzenberger: Für mich als Wissenschafterin ist es auch wichtig, mit Statistik zu arbeiten und die zu kommentieren. Wenn es Ungleichheiten gibt, die messbar sind, muss man das aufzeigen. Es gibt zum Beispiel bis heute ein großes Stadt-Land-Gefälle. Wenn ich viele Studierende habe, die vom Land kommen, dann ist denen Familie und Muttersein, obwohl sie einen ganz gut situierten Beruf annehmen werden, das Wichtigste. Die sind auch häufiger und jünger verheiratet. Daran sieht man, das Eingebundensein in ländliche Strukturen hat eine Wirkung. Die soziale Kontrolle ist bis heute groß.

STANDARD: Ist das Frauenbild also doch mehr eine Frage der Bildung und des sozialen Umfelds als der Kultur?

Herzog-Punzenberger: Ich würde es an Milieus festmachen. Egal in welches Land wir schauen, gibt es auch innerhalb dieses Landes unterschiedliche Zugänge. Es gibt überall welche, die sich eher rückwärts orientieren, die traditionalistische Werte haben – auch in Österreich. Was wir jetzt sehen am rechten Rand: Für die ist Gender eine echte Bedrohung. Und über soziale Netzwerke werden neue Gruppen erreicht, die den Genderbegriff davor vielleicht gar nicht kannten, aber jetzt glauben zu wissen, dass das böse ist. Die werden aufgeladen und glauben dann wirklich, dass hier ein Kampf gegen die Familie geführt wird und man bald nicht mehr weiß, was Mann und was Frau ist. Vor fünf Jahren hätten da noch die meisten darüber gelacht. Heute nimmt das ein gar nicht so kleiner Teil ernst.

Özmen: Natürlich hat das Frauenbild schon auch etwas mit Kultur zu tun. Und die eigene Kultur ist oft das Vorbild. Es gibt da verschiedene Beispiele: In der kurdischen Gesellschaft ist es oft so, dass die Frau die starke ist, die nicht jammert. Männer sind eher die, die weinen. Auch in Filmen.

STANDARD: Was sind die Baustellen der Zukunft?

Herzog-Punzenberger: Eine Sache ist sicherlich das Einkommen. Das ist ein wichtiger Gradmesser, wenn für die gleiche Arbeit nicht das gleiche Geld bezahlt wird. Das Zweite sind Hierarchien. Wenn ich von der Universität spreche: Wie viele Professorinnen gibt es, wie viele Frauen in einflussreichen Gremien. Es geht aber auch um Haushalt und Kinderbetreuung. Dass Männer kochen, ist charismatisch geworden, das hat Sex-Appeal, aber es gibt andere Bereiche, die sind weniger sexy. Ich sag immer: Beim Kloputzen, da sieht man es dann wirklich. (Katharina Mittelstaedt, 12.3.2017)