Das h in Eigenthum und das C in Censur lassen es erahnen: Das österreichische Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger ist kein Werk des 21. Jahrhunderts. Dennoch sind die teilweise aus dem Jahr 1867 übernommenen Bausteine immer noch die Grundfesten der Republik. Darin heißt es in Artikel 12, dass Staatsbürger das Recht haben, "sich zu versammeln und Vereine zu bilden". Untrennbar damit verbunden ist Artikel 13, der das Recht garantiert, "durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern". Artikel 12 und 13 sind die DNA jeder Versammlung, jeder Kundgebung und jeder Demonstration.

Auch die Europäische Menschenrechtskonvention schützt grundsätzlich das Versammlungsrecht. Die Ausübung dieses Rechts wird wiederum durch besondere Gesetze geregelt, die im Lauf der Zeit immer wieder angepasst wurden. Seit ein paar Monaten wird an den Bestimmungen heftiger gerüttelt als je zuvor. Vor allem – aber nicht nur – Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sieht Reformbedarf. Im vergangenen Sommer ließ er nach Demonstrationen türkischer Österreicher im Zusammenhang mit dem Putschversuch in der Türkei prüfen, ob damit nicht unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit ein ausländischer Konflikt ins Land getragen werde. Doch die SPÖ spielte bei einer Verschärfung nicht mit.

Vor zwei Monaten griff der Innenminister die alte Forderung von Wirtschaftstreibenden auf, Demonstrationen in oder durch Geschäftsstraßen verbieten zu lassen. Das Timing passte perfekt zum von der Wiener FPÖ veranstalteten Akademikerball in der Hofburg, bei dessen Gegendemos es in der Vergangenheit schon mehrmals zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen gekommen war. Heuer blieb es allerdings ruhig. Sobotka blieb mit seinem Vorschlag, der unter anderem auch eine Haftung für Demonstrationsleiter und eine empfindliche Anhebung von Verwaltungsstrafen vorsah, politisch erneut isoliert. Letztlich wurde er sogar ÖVP-intern zurückgepfiffen.

Doch Sobotka lässt nicht locker. Nun geht es abermals um die Türkei. Um mögliche Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker in Österreich zu verhindern, fordert der Innenminister, dass er künftig mit Zustimmung der Bundesregierung ein entsprechendes Verbot erlassen kann – "wenn dies dem Schutz der in der Europäischen Menschenrechtskonvention liegenden Menschen- und Grundrechte dient", wie es in seinem Vorschlag heißt.

Viel mehr als ein Zähnezeigen Richtung Istanbul ist das aber nicht. Denn die Sicherheitsbehörden haben diese Möglichkeit schon jetzt. Versammlungen werden untersagt, wenn sie die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährden (dazu zählen übrigens auch überlange Verkehrsbehinderungen) oder wenn ihr Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft. Dass das in Österreich sehr selten geschieht, zeugt von hoher demokratischer Kultur. (Michael Simoner, 7.3.2017)