Keine Berührungsangst: Jesse Klaver auf Wahlkampftour.

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Man müsse eben große Ziele haben, wenn man die Welt verändern will, wird Jesse Klaver dieser Tage nicht müde zu wiederholen. Er sagt es seinen Anhängern, die ihn "Jessias" rufen. Und er sagt es seinen Gegnern, denen er viel mehr als Gottseibeiuns erscheint denn als Heilsbringer. Das Ziel des 30-Jährigen, seines Zeichens Chef der niederländischen Grünen, heißt schließlich nicht Oppositionsführer. Sondern Regierungschef.

Aufgewachsen ist der schlaksige, schwarzgelockte Jungspund im Eisenbahnerstädtchen Roosendaal ganz im Süden, an der Grenze zu Flandern. So wie der Rechtspopulist Geert Wilders wurzelt auch der telegene, optisch an Kanadas Premier Justin Trudeau gemahnende Vater zweier kleiner Söhne mütterlicherseits in Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien. Sein Vater, ein Marokkaner, ließ die junge Familie kurz nach der Geburt sitzen, Klavers Großvater, so heißt es, gewährte ihm schon als Kind erste Einblicke in die marxistische Gedankenwelt. Er wolle sich mit keiner Ideologie gemein machen, sagt der studierte Sozialarbeiter heute über sich.

Manch Urgestein bei Groen Links, wie sich die chronisch zerstrittenen niederländischen Grünen nennen, hält ihn darob für einen unsicheren Kantonisten. Andere wiederum sehen in ihm das größte Geschenk, das sich die seit Jahren dahingrundelnden Polderökos wünschen konnten.

Shootingstar der Politik

Ambitionen jedenfalls spricht dem bekennenden Flexitarier, der sich auf drei Fleischrationen in der Woche beschränkt, niemand ab. Klaver war 22, als er in die Zweite Kammer des Haager Parlaments gewählt wurde, und er war 23, als er als jüngstes Mitglied der Geschichte im Sozialökonomischen Rat Platz nahm, der niederländischen Version der Sozialpartnerschaft. 2015, Klaver war 28, übernahm er den Parteivorsitz des heterogenen Bündnisses aus Kommunisten, Pazifisten und Umweltbewegten.

In seinen als hippe Politevents inszenierten und "Meet-ups" genannten Wahlkampfauftritten predigt er, flankiert von einem syrischen Rapper, Verteilungsgerechtigkeit, Krankenversicherung und Bildungschancen für alle und den Kampf gegen den Klimawandel. Den in den Niederlanden traditionell geduldeten Cannabiskonsum möchte Klaver, der selbst nie geraucht haben will, vollends legalisieren. Und ein sichtbares Zeichen gegen den rechten Mainstream setzen, der in den vergangenen Jahren auch von den Niederlanden Besitz ergriffen hat.

Die Hassbotschaften, die ihm Rassisten nach jedem seiner stets hemdsärmeligen Auftritte zukommen lassen, schmerzen trotzdem. "Ich bekam Briefe, in denen steht, dass man mich nicht wählen kann, weil ich Marokkaner bin", klagte er bei der vielbeachteten TV-Debatte der Spitzenkandidaten am Sonntag. Oder dass er immer wieder gefragt werde, wie denn sein angeblich echter, sein arabischer Name lautet. "In diesem Land soll man nicht wegen seiner Herkunft beurteilt werden, sondern wegen seiner Zukunft", sagt der Mann, der bei der Wahl am 15. März nächster Premier der Niederlande werden will, dann. (Florian Niederndorfer, 9.3.2017)