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Frauenideal der Islamischen Glaubensgemeinschaft: Ein Mufti erklärt das Kopftuch zum fixen Gebot. Mittelalterliche Ansichten würden zur Anleitung für die Gegenwart erhoben, sagt Kritiker Aslan.

Foto: dpa / Hannibal Hanschke

Wien – Ibrahim Olgun gibt sich empört. "Auf das Schärfste" verurteilt der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), dass selbige "zum Spielball der Politik" gemacht werde.

Was ist passiert? Die IGGiÖ hatte auf ihrer Homepage eine eindeutige Empfehlung pro Kopftuch abgegeben. "Für weibliche Muslime ab der Pubertät", urteilte Mufti Mustafa Mullaoglu in einer "Fatwa", einem theologischen Gutachten, "ist in der Öffentlichkeit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgelehrten Füßen, ein religiöses Gebot und damit Teil der Glaubenspraxis".

Die Reaktion fiel harsch aus. "Eine Verpflichtung zum Kopftuch lehnen wir ab!", protestierte Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) via Österreich. Staatssekretärin Muna Duzdar hielt für die SPÖ fest: "Eine solche Positionierung ist ein Angriff auf die Freiheit und Selbstbestimmung der Frauen. Ich lehne sie zutiefst ab."

Olgun empfindet diese Kritik als Unterstellung. Abgesehen davon, dass die Auslegung der Glaubensgrundsätze in die "inneren Angelegenheiten" staatlich anerkannter Religionsgesellschaften falle, werde der Öffentlichkeit der falsche Eindruck vermittelt, "die Glaubensgemeinschaft zwingt ihre Mitglieder zu Verfüllung".

Von Gesichtsbedeckung ablassen

Tatsächlich stellt Mullaoglu im Namen des IGGiÖ-Beratungsrats in seiner Fatwa klar, "dass Frauen und Männer, die sich nicht an die religiösen Kleidungsgebote halten, keinesfalls von anderen abgewertet werden dürfen". Weiters empfiehlt er mit Rücksicht auf die "hiesige" Tradition "vom Tragen einer Gesichtsbedeckung abzulassen", zählt aber auch zur Aufgabe der Erziehungsberechtigten, "ihre Kinder schon vor deren religiöser Verantwortlichkeit, die mit der Pubertät beginnt, an die islamische Glaubenspraxis heranzuführen". Als Belege dienen Mullaoglu Hinweise auf den Koran und andere islamische Quellen.

Ednan Aslan hält diese Praxis für fatal. Statt gegenwartsorientierte Deutungen aufzugreifen, übernehme Mullaoglu mittelalterliche Interpretationen, um diese "als unantastbare Wahrheit und absolute Pflicht" anzupreisen, kritisiert der Religionspädagoge von der Uni Wien. "Ich finde es gefährlich, wenn der Geist des 8. und 9. Jahrhunderts als Grundlage für das religiöse Leben der Muslime im heutigen Österreich dargestellt wird", sagt Aslan: Übertrage man die Ansichten solcher Gelehrten unüberlegt in die Gegenwart, "legitimieren wir Gewalt und die Unterdrückung der Selbstbestimmung des Menschen".

Andächtig vom IS zitiert

Aus den von Mullaoglu zitierten Werken ließen sich noch ganz andere Lehren ableiten, erläutert Aslan, der auch eine schriftliche Stellungnahme verfasst hat. Einer der in der Fatwa genannten Gelehrten habe zur Tötung aller Muslime, die nicht ordnungsgemäß beten, aufgerufen, ein anderer den Mord an der Ehefrau straffrei gestellt. Eine dritte Quelle wiederum werde auch vom Islamischen Staat zitiert -"mit gleicher hochergebener und gehorsamster Andacht", wie Aslan anmerkt: "Ein Gutachten, das diesen Werken in blindem Kadavergehorsam folgt, ist kriminell."

Es gehe nicht darum, die Quellen zu verwerfen, sondern um eine kritische Deutung, sagt der Wissenschafter: Die Argumentation für oder gegen das Kopftuch brauche eine ganz andere theologische Grundlage aus der Gegenwart der Muslime in Europa.

Dass Mullaoglu – er war für den STANDARD nicht erreichbar – eine fragwürdige theologische Haltung einnehme, fiel dem Professor nicht erst jetzt auf. In jenem aufsehenerregenden Projektbericht, in dem sich Aslan islamischen Kindergärten widmete, zitiert er den Mufti mit Hinweis auf ein Zeitungsinterview wie folgt: Der Islam sei "keine Religion der Verteidigung, sondern eine Angriffs- und Eroberungsreligion für die Befreiung der Menschheit. Eine Religion, die um der Herrschaft der Gerechtigkeit willen uns bis zur Erschöpfung dem Jihad verpflichtet." (Gerald John, 6.3.2017)