Ankara/Berlin/Athen – Der eine spricht von einer "faschistischen Gangart" in Deutschland, der andere vom "Abbau der Rechtsstaatlichkeit" in der Türkei und davon, dass er persönlich erschüttert sei. In den Beziehungen der beiden Länder kracht es nun gewaltig. Der türkische Justizminister tobt, der deutsche Amtskollege schreibt einen geharnischten Brief.

Bekir Bozdağ und Heiko Maas, ein stramm konservativer Erdoğan-Mann der eine, ein deutscher Sozialdemokrat des linken Flügels der andere, sprechen von zwei verschiedenen Dingen, aber dann wiederum doch von demselben Problem: vom Abmarsch der Türkei in den Ein-Mann-Staat, befördert durch ein Verfassungsreferendum, das in sechs Wochen stattfinden wird, und von Justizwillkür und Auflösung der demokratischen Gewaltenteilung, die sich seit der Verhängung des Ausnahmezustands nur beschleunigt haben.

Unterstützung für den "Reis"

Deutschland ist einer der wichtigsten Wahlbezirke für den autoritär regierenden türkischen Staatspräsidenten Tayyip Erdoğan. 1,4 Millionen türkische Wähler leben dort. Die Mehrheit von ihnen unterstützt den "Reis", den "Führer", wie der Titel eines volksnahen Erdoğan-Films heißt, der am Freitag in türkischen Kinos angelaufen ist. Erdoğans Justizminister Bozdağ wollte am Donnerstag von Straßburg kommend, wo er im Europarat bereits abgemahnt worden war, in Deutschland Kampagne für das Verfassungsreferendum machen. Doch die Kleinstadt Gaggenau, wo Bozdağ für das Ja zur Erdoğan-Verfassung werben sollte, sagte kurzfristig ab. Ihr war eine türkische Vereinssitzung gemeldet worden, kein politischer Wahlkampfauftritt.

Ein Treffen mit dem deutschen Amtskollegen Maas ließ Bozdağ daraufhin platzen. Es wäre ohnehin ein unangenehmes Gespräch geworden. Maas wollte über die Inhaftierung des Istanbul-Korrespondenten der deutschen Tageszeitung "Die Welt" sprechen. Dem deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel wirft die türkische Justiz vor, in Artikeln sowohl die kurdische Untergrundarmee PKK wie die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben. Maas nennt das in einem Brief, den er Bozdağ anstelle des Gesprächs schrieb, "nicht nachvollziehbar".

"Deutschland hat den Verstand verloren"

Im türkischen Regierungslager herrscht am Tag nach der Ausladung des Justizministers schrille Empörung. "Schande" und "Deutschland hat den Verstand verloren" titelte das Islamistenblatt "Yeni Şafak" am Freitag. "Die AKP macht Bekanntschaft mit Verboten", stand schadenfroh auf der Titelseite der Oppositionszeitung "Cumhuriyet", deren Chefredakteur und Kolumnisten seit nun 124 Tagen ohne Gerichtsverhandlung in Haft sind. Denn nicht nur Bozdağ, auch Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi wurde bei einem anderen Wahlkampftermin ausgeladen.

Deutschland sei ein Zufluchtsort für Terroristen geworden, behauptete Bozdağ nun. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu fabulierte über einen "tiefen deutschen Staat", der ein weiteres Beispiel seines Wirkens geliefert habe. Der "tiefe Staat" ist in der Türkei ein Begriff für Machenschaften geheimer Zirkel, die unsichtbar für die Öffentlichkeit die eigentlichen Entscheidungen im Staat treffen.

Doch auch der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu kritisierte das Auftrittsverbot in Deutschland als nicht demokratisch. Kılıçdaroğlu hatte in der Vergangenheit selbst Wahlkampfauftritte vor den Auslandstürken in Deutschland und Österreich absolviert. Ende Februar fand in der TU Berlin ein sogenanntes "Nein-Panel" statt, bei der ein Abgeordneter von Kılıçdaroğlus sozialdemokratischer CHP sowie Politiker der kurdischen Minderheitenpartei HDP und der linken ÖDP sprachen.

"Am Sonntag werde ich nach Deutschland fahren"

Im Rathaus von Gaggenau gab es Freitagmorgen eine Bombendrohung; ein anonymer Anrufer bezog sich dabei auf den abgesagten Auftritt des türkischen Justizministers. Das Rathaus wurde evakuiert, eine Bombe fand die Polizei nicht. Die Veranstaltung in der badischen Kleinstadt ebenso wie im Kölner Stadtbezirk Porz, wo am Sonntag Wirtschaftsminister Zeybekçi auftreten sollte, wurden von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) organisiert – der Interessenvertretung von Erdoğans AKP in Europa. Zeybekçi gab sich am Freitag unbekümmert.

"Macht euch keine Sorgen", sagte der Minister bei einer Eröffnungsfeier in der türkischen Provinz: "Am Sonntag werde ich nach Deutschland fahren." Der Wirtschaftsminister hat einen anderen Auftritt am Sonntagmittag in Leverkusen, wo er vor einem Konzert, das vom türkischen Staatsfernsehen übertragen wird, ein Grußwort sprechen soll. Auf der Facebook-Seite der AKP war zudem für Sonntagabend ein neuer Termin in der Nähe von Köln notiert. Zeybekçi wollte demnach in einem Industriegebiet der Stadt Frechen auftreten, um für die Verfassungsänderung zu werben. An der angegebenen Adresse ist die türkische Großdiskothek Taksim Club. Doch auch daraus wird nichts – offenbar, weil der Eigentümer der Halle diese nicht für politische Veranstaltungen freigeben will.

Çavuşoğlu kommt bilateral nach Berlin

Dafür kommt auch Çavuşoğlu in der kommenden Woche nach Deutschland. Nach bisherigen Plänen allerdings nicht für einen Wahlwerbetermin, sondern für ein Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Sigmar Gabriel. Die beiden haben nach Angaben der Agentur Anadolu in einem Telefongespräch vereinbart, am kommenden Mittwoch in Berlin miteinander zu sprechen, um die aktuelle politische Krise zu entschärfen. (Markus Bernath, red, 3.3.2017)