Unter diesem Grün verbergen sich keine Ruinen, das Blätterdach selbst ist ein Erbe menschlicher Besiedlung: Ureinwohner haben die Pflanzenwelt des Amazonasbeckens zu ihrem Nutzen verändert.

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Hollywood entdeckt die Archäologie: Charlie Hunnam spielt den britischen Abenteurer Percy Fawcett in "The Lost City of Z".

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Forscherin Carolina Levis in einem Wald, der von Paranussbäumen (Bertholletia excelsa) und der Palmenart Euterpe precatoria geprägt ist, von der Stämme, Früchte und Wurzeln genutzt werden. In unmittelbarer Nähe befindet sich eine archäologische Ausgrabungsstätte.

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Manaus/Wien – Im Frühling wird in den Kinos die Verfilmung von David Granns Buch "The Lost City of Z" anlaufen, in dem der US-Journalist die Geschichte des Abenteurers Percy Fawcett nacherzählt. Fawcett, ein britischer Kartograf, war davon überzeugt, dass sich im Amazonasdschungel die Überreste einer untergegangenen Hochkultur befinden würden. Auf der Suche nach einer hypothetischen Stadt, der er den Namen Z gab, verschwand er im Jahr 1925 in den Wäldern am Rio Xingu. Sein Schicksal wurde nie geklärt.

Der Film endet mit dem Nachwort, dass der seinerzeit von vielen belächelte Fawcett letztlich recht behalten hätte: Archäologische Funde aus jüngster Vergangenheit würden seine Hypothese einer versunkenen Zivilisation stützen. Das streckt die Wahrheit zwar. Richtig ist jedoch, dass das Amazonasbecken nicht der Inbegriff der unberührten Wildnis ist, als der es das ganze 20. Jahrhundert hindurch galt.

Archäologische Aufarbeitung

Seit den 1990er-Jahren ist der US-Anthropologe Michael Heckenberger mit der Analyse archäologischer Fundstätten im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso beschäftigt – in derselben Großregion, in der Fawcett sein Z gesucht hatte. Was Heckenberger und andere dort freigelegt haben, ist zwar keine Monumentalstadt wie jene der Maya in Mesoamerika. Dafür aber ein bis zu 20.000 Quadratkilometer großes Netzwerk aus kleinen Siedlungen und Kulturflächen, das zeigt, dass der Regenwald einst dichter bevölkert war als in den Jahrhunderten nach der Ankunft der Europäer. Warum diese Kulturen verschwanden, ist noch unbekannt – aus Europa eingeschleppte Seuchen könnten ein Faktor gewesen sein.

Im Februar dieses Jahres präsentierte ein Forscherteam um Jennifer Watling im Fachjournal PNAS eine Studie über großflächige Erdformationen im weiter westlich gelegenen Bundesstaat Acre, die durch Rodungen freigelegt worden waren. Auch diese sogenannten Geoglyphen sind künstlichen Ursprungs und das Erbe einer Besiedlung, die offenbar über mehrere Jahrtausende hinweg anhielt. Eines von Watlings Ergebnissen lautete, dass der Dschungel rund um die schon vor Jahrhunderten aufgegebenen Anlagen immer noch Spuren der Vergangenheit trägt. Ehemalige oder potenzielle Nutzpflanzen sind dort stärker vertreten als in vergleichbaren Gebieten.

Das fügt sich in die Erkenntnisse einer aktuellen Studie im Fachblatt "Science", die die Pflanzenvielfalt im gesamten Amazonasbecken unter die Lupe nahm. Hunderte Forscher waren an dem Mammutprojekt beteiligt – wie zur Illustration, dass sich die wissenschaftliche Arbeitsweise seit der Ära abenteuerlustiger Individualisten wie Percy Fawcett beträchtlich verändert hat.

Züge einer Kulturlandschaft

Das Team um die Studienerstautorin Carolina Levis vom brasilianischen Institut für Amazonasforschung untersuchte die Pflanzenvielfalt an insgesamt 1170 Stellen des Beckens. Aus den geschätzt 16.000 dort vorkommenden Baumarten filterten sie eine Reihe "hyperdominanter", also weithin verbreiteter Spezies heraus. Unter diesen sind von indigenen Völkern kultivierte oder zumindest genutzte Arten überdurchschnittlich stark vertreten – etwa Kakao- oder Paranussbäume. Zudem konzentrieren sich Nutzpflanzen auffällig in der Nähe archäologischer Fundstätten und könnten daher sogar als Wegweiser für künftige Ausgrabungen dienen.

Da einige dieser Arten auch außerhalb ihrer ursprünglichen ökologischen Nischen vorkommen, schließen die Forscher, dass sie vom Menschen absichtlich gefördert und verbreitet wurden. Die vermeintlich ursprünglichen Regenwälder des Amazonasgebiets tragen also auch Züge einer Kulturlandschaft. Das mag kein Z sein, ist aber ein ebenso dauerhaftes Erbe der Vergangenheit. (Jürgen Doppler, 2.3.2017)