Jetzt hat sich anlässlich eines Berufungsverfahrens an der Universität Graz eine Diskussion über die drohende Überfremdung der österreichischen Universitäten entwickelt. Es ging um eine Professur für Zeitgeschichte, genauer um die Nachfolge eines Professors für "Allgemeine Zeitgeschichte unter Berücksichtigung außereuropäischer Länder und Kulturen". Ja: außereuropäische Länder und Kulturen!

Im noch nicht abgeschlossenen Berufungsverfahren waren österreichische Bewerber erfolglos, was den ORF veranlasst hat, sich zum Sprachrohr einer enttäuschten Bewerberin aus Österreich zu machen. Besonders hervorgehobener Umstand: Wissenschafter aus Deutschland seien gar nicht in der Lage, auf dem Gebiet der österreichischen Zeitgeschichte, der Wirtschaftsgeschichte oder auch der österreichischen, ähem, Deutschen Philologie zu forschen.

Sie haben Powerpoint

Reinhold Knoll hat im STANDARD nachgestoßen: Mit der Berufung von Deutschen würde es "keine dezidierte Analyse österreichischer Gesellschaft mehr" geben. Die Deutschen finden sich nämlich "in den Untiefen örtlichen Geisteslebens kaum zurecht". Deutsche sind jämmerliche Pseudoempiristen. Er hat auch dargelegt, wie die Berufungen von Deutschen zustande kommen: Aufgrund des Bologna-Prozesses wurden Lehrinhalte dogmatisiert, und damit kommen die Deutschen besser zurecht. Die Deutschen sind rhetorisch im Vorteil. Die Deutschen haben Powerpoint.

Wenn die Deutschen erst einmal da sind, dann verselbstständigt sich der Prozess. Zuerst nehmen die Deutschen Mitarbeiter mit. Deutsche natürlich. Diese Mitarbeiter besetzen die Mittelbaustellen. Dann setzen sich die Deutschen in die Berufungskommissionen an ihrer Universität und berufen zusätzliche Deutsche.

Irgendwann wird man an den Universitäten nur mehr Deutsch sprechen und nicht mehr die gute alte Unterrichtssprache, das Hurdestanische. Dann klingt es wie zu Hause bei Christina Stürmer.

Der Wissenschaftsmarkt ist ein internationaler, in dem die nationale Herkunft im Idealfall keine Rolle spielt. Prinzipiell geht es bei Berufungen um Qualität. Qualitätsvorstellungen sind gewiss nicht einheitlich, aber die nationale Herkunft gehört definitiv nicht zu den infrage kommenden Qualitätsmerkmalen. Wenn sich viel mehr Deutsche als Österreicher bewerben, was der Regelfall ist, ist es bei einer halbwegs fairen Durchführung von Berufungsverfahren unvermeidlich, dass mehr Deutsche berufen werden.

Durch die Hintertür kommt allerdings sehr wohl ein Kriterium ins Spiel, das national verzerrend wirkt: Wie geht man damit um, dass die meisten Wissenschafter weltweit weder Deutsch noch Hurdestanisch können? Das hängt vom Fach ab, aber Englisch ist offenkundig kein vollwertiger Ersatz für das heimatliche Idiom.

Nehmen wir nur einmal an, dass der Wissenschaftsmarkt bloß ein EU-Markt wäre, allenfalls noch mit kleinen Anhängseln wie der Schweiz und Norwegen. An den Universitäten würde man dann praktisch nur mehr Englisch sprechen, es ginge nicht anders. Im Vergleich mit einem solchen Szenario liegt die Zahl der Deutschen an den österreichischen Universitäten zwar über dem zu erwartenden Wert, wirklich krass überrepräsentiert sind aber die Österreicher. Bei einem globalen Wissenschaftsmarkt würde der Anteil der Österreicher in den österreichischen Unis überhaupt unter die Wahrnehmbarkeitsschwelle sinken.

Aber davon sind wir weit entfernt. Billig und gerecht Denkende können sich zurücklehnen. Die meisten Europäer kommen nicht. Unsere Offenheit, die Offenheit der Gebildeten, der Aufgeklärtesten der Aufgeklärten, der politisch auf der richtigen Seite Befindlichen, die Offenheit der Universitätslehrer, wird im einzigen Bereich, der uns persönlich betrifft, bei der Bestellung von wissenschaftlichem Personal, nicht auf die Probe gestellt. Die Ausländer nehmen uns die Stellen nicht weg. Ausnahmen sind die paar Deutschen.

Herr Knoll hat diagnostiziert, dass die Deutschen, die nach Österreich berufen werden, zweitklassig sind. Das ist eine naheliegende Vermutung, denn ein erstklassiger Deutscher lässt sich selbstverständlich an eine deutsche Universität berufen. Warum soll jemand ins trübe Wien gehen, wenn er bei unwesentlich niedrigerem Gehalt auch in Gießen oder Siegen sein kann? Eben.

In meinem Fach Wirtschafts- und Sozialgeschichte lehren in Österreich derzeit fünf Österreicher, drei Deutsche und ein Schweizer. Das sind die Professoren, dazu gibt es eine beträchtliche Zahl von Dozenten, die fast alle Österreicher sind. An der Uni Wien lehrten bis zum Vorjahr noch ein weiterer Deutscher und ein Niederländer, die aber wieder abgewandert sind. Qualitativ war deren Berufung eindeutig eine Verbesserung des Fachs, deren Abwanderung im Vorjahr ein herber Verlust. Diese Berufungen haben gebracht, was viele kopfscheu macht: andere Fragestellungen als bisher üblich, andere methodische Ansätze, in zwei Fällen überhaupt ein völlig anderes wissenschaftliches Profil und ausbildungsbedingt einen anderen Hintergrund. Wenig Austrizität eben.

Also es stimmt: Die Berufung von Ausländern kann bedeuten, dass plötzlich Leute da sind, die eine internationale (nicht nur deutsche) Karriere hinter sich haben und ganz selbstverständlich andere Sachen von sich geben, in anderen Zeitschriften publizieren, andere Kontakte haben und sich auf anderen Tagungen tummeln als die, die schon da sind.

Das ist eine Chance, die einzige Chance für die, die nachkommen. Wer auch immer heute im Mittelbau eine wissenschaftliche Karriere beginnt, wird sich alsbald ins Ausland bewegen müssen, es geht heute nicht mehr anders. Und auf internationale Karrieren bereitet man sich besser so vor, wie das auch in anderen Ländern passiert, und nicht à l'autrichienne. (Michael Pammer, 2.3.2017)