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Frauen werden häufiger als Männern Schmerz- und Beruhigungsmittel verschrieben.

Foto: REUTERS/Sukree Sukplang/File Photo

Berlin – Der in Wien ansässige Internationale Suchtstoffkontrollrat (International Narcotic Control Board, INCB) der Uno fordert in seinem am Donnerstag in Berlin präsentierten Jahresbericht 2016 von den Regierungen eine stärkere Berücksichtigung von Frauen in der Drogenpolitik und den Drogenprogrammen. Grund ist der überproportionale Anstieg von Suchtgiftüberdosierungen unter weiblichen Konsumenten.

Frauen und Mädchen machen dem Bericht zufolge ein Drittel der Drogenkonsumenten weltweit aus, wobei das Ausmaß des Drogenkonsums bei Frauen in einkommensstärkeren Ländern höher ist. Trotzdem stellen Frauen nur ein Fünftel aller Menschen, die eine Behandlung bekommen, da laut den Experten signifikante systembegründete, strukturelle, soziale, kulturelle und persönliche Barrieren den Zugang von Frauen zu Behandlungen bei Substanzmissbrauch behindern.

"Wir wollen, dass sich die Sichtweisen ändern, und wollen Menschen, insbesondere Politiker, daran erinnern, wie wichtig es ist, die Rechte der Frauen, die Drogen konsumieren oder Drogendelikte begangen haben, sowie die Rechte ihrer Familien zu schützen", sagte INCB-Präsident Werner Sipp. "Die Fakten sind sehr spärlich. Häufig werden Zahlen zu Behandlungen nicht nach Geschlecht aufgegliedert." Er fordert die Regierungen auf, sich des Problems bewusst zu werden, mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen und mehr in Forschung zu investieren.

Stigmatisierung

"Es gibt zu wenige Angebote für Frauen. Allgemeine Angebote werden eher von Männern angenommen. Frauen wollen sich nicht unbedingt gemeinsam mit Männern behandeln lassen", erklärte Sipp. "Und ein ganz großes Problem ist die Stigmatisierung von Drogenkonsumentinnen." Dazu komme die Angst Betroffener, eventuell das Sorgerecht für Kinder zu verlieren, wenn sie Drogenkonsum beziehungsweise Abhängigkeit von Suchtstoffen zugeben.

Überproportional hoch ist im Vergleich der Geschlechter die Zahl der Frauen, die von Medikamenten abhängig sind. "Frauen bekommen viel häufiger Suchtstoffe wie zum Beispiel Schmerz- und Beruhigungsmittel verschrieben als Männer. Das hat biologische, aber auch gesellschaftliche Gründe – etwa als Maßnahme gegen Stress. Viele Stoffe werden aber in nicht mehr vernünftiger Weise verschrieben", kritisierte Sipp. "Da müssen die medizinischen Berufe sensibler werden."

Anstieg bei Festnahmen

Besonders gefährdet hinsichtlich Drogenmissbrauch seien weibliche Gefangene und Sexarbeiterinnen, heißt es zudem in dem Bericht – der INCB ist für die Überwachung der Einhaltung der UN-Drogenkonventionen zuständig. Bei der Zahl der Frauen, die wegen Drogendelikten festgenommen wurden, habe es einen signifikanten Anstieg gegeben. Bei Inhaftierten komme Drogenmissbrauch unter Frauen häufiger vor als unter Männern. Es gebe auch eine enge Verbindung zwischen Sexarbeit und Drogenmissbrauch: Manche Frauen finanzierten ihre Drogenabhängigkeit mit Prostitution, während Prostituierte mitunter Drogen konsumierten, um mit ihrer Art von Arbeit besser fertig zu werden.

Alternative Maßnahmen

HIV-Infektionen und psychische Störungen seien unter Frauen mit Drogenmissbrauch weiter verbreitet. Besonders für weibliche Gefangene habe die Trennung von Familie und sozialer Umgebung nachteilige Auswirkungen und erhöhe das Risiko für Depressionen und Angststörungen. In dem Bericht wird die Bedeutung gezielter Präventionsprogramme für Gefangene, Schwangere, Menschen mit HIV/Aids und Sexarbeiterinnen betont. INCB fordert die Mitgliedstaaten auf, Daten zu sammeln und auszutauschen, um ein besseres Verständnis für spezielle Bedürfnisse von Frauen mit Drogenmissbrauch zu erreichen und um Prävention, Behandlung und Rehabilitation zu verbessern.

Viele Staaten bauten bei ihrer Antwort auf drogenbezogene Delikte hauptsächlich auf strafrechtliche Maßnahmen, einschließlich Strafverfolgung und Inhaftierung. Mögliche alternative Maßnahmen wie Behandlung, Rehabilitation und soziale Integration würden zu wenig genutzt, kritisiert der INCB.

Das Gremium empfiehlt Staaten, die hohe Raten an Verhaftungen und Haftstrafen für kleinere Drogendelikte verzeichnen, eher nichtstrafrechtliche Sanktionen und Maßnahmen anzuwenden anstatt den Weg der Legalisierung zu wählen, der kontraproduktiv sein könne und mit den Drogenkontrollabkommen nicht konform gehe. Länder, in denen Drogendelikte mit dem Tod bestraft werden können, sollten die Abschaffung der Todesstrafe für solche Delikte in Erwägung ziehen.

Umdenken

Nach dem im INCB-Jahresbericht 2015 kritisierten "Krieg gegen Drogen" bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Behandlung Abhängiger, der Prävention und Aufklärung ortet Präsident Sipp in zahlreichen Staaten ein Umdenken. "Den Krieg gegen Drogen schafft man natürlich nicht von einem Tag auf den anderen ab. Aber in vielen Ländern hat sich was getan. In China zum Beispiel gibt es neue Zielvorgaben. Abhängigkeit wird zunehmend als Gesundheitsproblem gesehen, gegen das man mit gesundheitspolitischen Maßnahmen vorgehen kann. Auch in lateinamerikanischen Ländern scheint die Entwicklung in diese Richtung zu gehen."

Die Legalisierung von Cannabis für nichtmedizinische Zwecke ist für den INCB unvereinbar mit internationalen gesetzlichen Verpflichtungen, heißt es außerdem in dem Bericht. Die Übereinkommen würden zwar eine gewisse Flexibilität bei ihrer Umsetzung bieten, aber "Flexibilität hat ihre Grenzen. Sie reicht nicht bis zur Regelung des nichtmedizinischen Gebrauchs von Suchtstoffen." Vertragsstaaten müssten sehen, wie sie auf die Entwicklungen in jenen Ländern reagieren, welche die Abkommen missachten, indem sie den nichtmedizinischen Gebrauch von Suchtstoffen erlauben und regulieren. (APA, red, 2.3.2017)