Da soll noch einmal jemand sagen, Wahlkämpfe seien nicht mitreißend. Der französische Präsidentschaftswahlkampf gleicht spätestens seit dem Vorwurf gegen den konservativen Kandidaten François Fillon, seine Frau jahrelang zum Schein angestellt und mit Steuermitteln bezahlt zu haben, einem Krimi. Die Affäre ist mittlerweile ein Fall für die Justiz.

Was neben den Anwürfen gegen Fillon fast etwas untergegangen ist: Auch Front-National-Kandidatin Marine Le Pen hat mit einer ähnlichen Veruntreuungsaffäre zu kämpfen. Die 298.000 Euro, die sie einer Mitarbeiterin zu Unrecht aus EU-Töpfen bezahlt haben soll, will Le Pen nicht zurückzahlen. Geschadet hat ihr bisher weder diese Verweigerungshaltung noch die Affäre selbst. In Umfragen blieb sie weiterhin prognostizierte Siegerin des ersten Wahlgangs, auch wenn ihr im zweiten keine Gewinnchancen gegeben werden.

Schaden oder Nutzen

Und nun die Aufhebung der Immunität von Marine Le Pen durch das EU-Parlament. Gegen Le Pen soll ermittelt werden, weil sie Enthauptungsbilder des IS auf Twitter veröffentlicht hat. Die Verbreitung von Gewaltbildern ist in Frankreich eine Straftat, die mit drei Jahren Haft und 75.000 Euro geahndet werden kann.

Da stellt sich die Frage: Wird ihr das jetzt zumindest schaden, sie in den Umfragen zurückwerfen? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Es kommt sicher auch darauf an, ob die Ermittlungen gegen sie noch vor den Wahlen aufgenommen werden und ob ihr Poltern, dass Richter und Staatsanwälte "gegen den Willen des Volkes" agieren, auf Resonanz stößt.

Aber im Prinzip rückt die neue Affäre nur ein urtümliches Wesensmerkmal der Partei in den Mittelpunkt. Der Front National (FN) hat sich unter Marine Le Pen weg von einer antisemitisch ausgerichteten Partei – wie noch unter Marines Vater Jean-Marie – hin zu einer antimuslimischen Prägung entwickelt. In vielen Bevölkerungsschichten Frankreichs herrscht vor allem nach den islamistischen Attentaten große Angst vor zu viel, vor allem muslimischer, Einwanderung. Deshalb, und weil es ihr gelungen ist, den FN von der rechtsextremen Einordnung hin zu einer "nur" populistischen zu wandeln, hat Le Pen Erfolg.

Und auch wegen ihrer von Brüssel aus geführten Anti-EU-Politik. Wir erinnern uns: Le Pen will Frankreichs EU-Mitgliedschaft neu verhandeln und ein "Frexit"-Referendum innerhalb von sechs Monaten nach Amtsantritt.

Wir fassen also zusammen – aus der Sicht eines potenziellen, EU-skeptischen und islamfeindlichen Wählers: Le Pen wird von den EU-Parlamentariern (= Establishment) kritisiert, weil sie (Le-Pen-Sicht) auf Twitter auf die Brutalität des "Islamischen Staates" hingewiesen hat. Die einschlägigen Stammtischrunden könnten begeistert sein.

Fillon auf Kurs

Aber auch die Konkurrenz schläft nicht. Wer noch mehr als Le Pen von der Schwäche des einstigen Favoriten Fillon profitiert hat, ist der offiziell parteilose ehemalige Hollande-Getreue Emmanuel Macron. Der musste sich oft den Vorwurf gefallen lassen, ein gehyptes "Konstrukt der Medien" zu sein und ohne Programm die Gunst der Stunde und die Schwäche der Konkurrenz zu nutzen. Zumindest ein Programm hat er nun vorgestellt. Er versucht darin den Spagat zwischen links und rechts, um möglichst viele Wählerstimmen abzugrasen. Ein Kandidat, der für Konservative und Sozialisten wählbar ist? Es schaut so aus. Die Chance oder die Wahrscheinlichkeit, dass Marine Le Pen Präsidentin wird, ist weiter gering. (Manuela Honsig-Erlenburg, 2.3.2017)