Noch halten sich die Währungshüter im EZB-Tower bezüglich des geldpolitischen Ausblicks bedeckt. Ökonom Kater erwartet, dass die Notenbank noch heuer den Ausstieg aus den Anleihenkäufen einleitet.

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STANDARD: Ein paar Wochen Donald Trump liegen hinter uns. Es gab viele Ankündigungen, etwa Richtung Autoindustrie oder Welthandel. An den Börsen war das bisher kein großes Thema, warum?

Kater: An den Börsen herrscht noch Gelassenheit. Das liegt wohl daran, dass man abwartet, was tatsächlich passiert. Ich glaube, man kann sich nicht so recht vorstellen, dass es grundlegende Institutionen, die in den letzten 30 Jahren aufgebaut wurden – insbesondere den freien Handel – nicht mehr geben soll. Das kann ein wenig blauäugig sein, weil die Administration in den USA ja deutlich gemacht hat, dass sie anders denkt als ihre Vorgängerregierungen. Deswegen ist es vielleicht eine trügerische Ruhe an den Märkten. Recht haben die Märkte aber, dass sich so ein Wandel nicht über Nacht, sondern in vielen kleinen Schritten über Jahre vollziehen würde.

STANDARD: Die groß angekündigte Steuerrede wird da vielleicht schon mehr Klarheit bringen ...

Kater: Wenn Trump dem Senat seine Steuerpläne bekanntgibt, weiß man hoffentlich etwas mehr. Würden Importe, wie stellenweise angedacht, durch Steuern und nicht durch die Einhebung von Zöllen diskriminiert, wäre das aber eine handelspolitische Kriegserklärung.

STANDARD: Steuern oder Zölle rächen sich, wenn die Bevölkerung Produkte nicht mehr bekommt oder bezahlen kann ...

Kater: Das ist genau das Problem. Natürlich wird eine Wirtschaft, in der die Importe behindert werden, versuchen, diese zu kompensieren. Das wird in den USA sicher zum Teil gelingen, daher können erste Reaktionen auf dieses Vorgehen sogar positiv sein. Aber die US-Wirtschaft hat auf kurze Frist nicht die Möglichkeiten, sämtliche Importgüter zu substituieren. Das hat zwei Gründe: Erst mal müssen die dafür notwendigen Industriestrukturen aufgebaut werden, und das braucht Zeit. Und: Die Arbeitskräfte dafür sind gar nicht da. Es geht ja gar nicht darum, dass die Amerikaner keine ausreichende Anzahl an Arbeitsplätzen haben. Trump will scheinbar Jobs in anderen Bereichen – etwa in der Industrie – schaffen. Die Arbeitskräfte fehlen dann aber woanders.

STANDARD: Wie wird sich das auf die US-Wirtschaft auswirken?

Kater: Die US-Wirtschaft ist am Rande der Überhitzung. Daher wird ein solches Programm die Inflation anheizen. Damit verpufft ein großer Teil dieser Maßnahmen in mehr Inflation und damit geringerem Einkommen der Leute. Das sind aber alles Effekte, die sich erst in zwei, drei Jahren herausstellen werden, und dann muss Trump sich eine Erklärung einfallen lassen, warum das mit den Jobs zwar geklappt hat, mit den höheren Einkommen aber nicht.

STANDARD: Kommt dann die große Enttäuschung über die "America first"-Politik?

Kater: Trumps Wähler sind nicht zu hundert Prozent ökonomiefixiert. Man ist bereit, auf ökonomische Vorteile zu verzichten, wenn andere Ziele, etwa weniger ausländische Verflechtungen und mehr Beachtung der eigenen Bedürfnisse durch die Politik, erreicht werden.

STANDARD: Auch in Europa stehen heuer Wahlen an. Erwarten Sie eine ähnliche Denke der Wähler?

Kater: Ja. Die rein ökonomische Argumentation zählt nicht mehr. Das sieht man auch beim Brexit, bei dem viele Leute sagen: Der Ausstieg mag zwar teuer sein, aber ich will ihn trotzdem. Man sollte aber aufhören, alles nur durch die ökonomisch-rationale Brille zu betrachten. Hier geht es um anderes, es geht um Unwohlsein und Ängste angesichts einer sich rapide ändernden Weltordnung.

STANDARD: Wo führt das hin, wenn die ökonomische Komponente derart außer Acht gelassen wird?

Kater: Das kann zu neuer Unzufriedenheit führen und dazu, dass die Protestwähler enttäuscht sind von denen, die sie voller Hoffnung gewählt haben. Nehmen wir die Briten. Die bezahlen jetzt schon für den Brexit, und zwar in Gestalt höherer Preise für ihre importierten Güter, das Pfund hat um mehr als 30 Prozent abgewertet, die Inflation wird demnächst Richtung vier Prozent streben. Das trifft in erster Linie Haushalte mit geringerem Einkommen – die zahlen die Brexit-Kosten jetzt schon überproportional. Bis das ein großes Thema wird, dauert es aber noch.

STANDARD: Marine Le Pen kündigt eine neue französische Währung an, falls sie Präsidentin wird und ebenfalls einen EU-Ausstieg. Wie realistisch ist dieses Szenario?

Kater: Wir sollten die politischen Risiken nicht unterschätzen. Der Rückstand, den Marine Le Penn zurzeit hat, ist in etwa so hoch, wie ihn Donald Trump ein paar Monate vor der Wahl hatte. Ich glaube aber dennoch, dass wir am Ende des Jahres weiterhin Regierungen im Amt haben werden, die die europäische Idee unterstützen, dass also der Rechtsruck bei diesen Wahlen nicht stark genug sein wird. Die nächste Legislaturperiode muss aber genutzt werden, um für die Idee Europa zu werben.

Deka-Bank-Chefökonom Ulrich Kater erwartet in zwei bis drei Jahren höhere Zinsen in der Eurozone.
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STANDARD: Die Inflationsraten in Europa driften auseinander. Länder wie Österreich sind schon am EZB-Ziel von zwei Prozent, andere sind davon weit entfernt. Wie kann die Notenbank darauf reagieren?

Kater: Jeder Währungsraum hat unterschiedliche Inflationsraten in seinen Teilregionen. Das ist normal. Eine gemeinsame Währung bringt es mit sich, dass man die Geldpolitik auf den Durchschnitt hin einstellt. Unterschiede in den Regionen kann nicht die Geldpolitik ausgleichen, dazu sind die Staatshaushalte da. Die EZB darf sogar feststellen, dass ihre Geldpolitik erfolgreich war. Daher muss sie jetzt ihre aktuelle Geldpolitik langsam aufgeben. Das kann sie gemächlich tun, aber sie muss es tun.

STANDARD: Wann werden wir erste Zinserhöhungen sehen?

Kater: Ich erwarte, dass die EZB im Herbst deutlich macht, dass sie den Ausstieg aus ihrer ultraleichten Geldpolitik plant. In zwei, drei Jahren werden auch die Sparzinsen wieder ansteigen. Problematisch wird allerdings, dass die schwächeren Staatshaushalte in Europa erneut unter Druck geraten werden, weil die Finanzierung über den Kapitalmarkt bereits vorher wieder teuer wird.

STANDARD: Was die bekannte Problematik in Europa wiederbringt ...

Kater: Genau. Dann wird man wieder die Frage stellen, wie man mit den unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten in Europa umgehen soll und welche Möglichkeiten es gibt, dass die schwachen Regionen von den starken unterstützt werden. Ohne eine solche Debatte wird die Währungsunion auf Dauer nicht zu halten sein.

STANDARD: Was bedeutet dieses Umfeld für Anleger?

Kater: Anleger müssen mit politischen Einschlägen an der Börse rechnen. Schon die Ergebnisse der Holland-Wahlen können als Richtungsentscheid interpretiert werden. Wird in Frankreich proeuropäisch entschieden, haben wir allerdings sehr gute Perspektiven, weil die Wirtschaft in Europa sehr kräftig ist. Der große Tanker Weltkonjunktur ist in Fahrt gekommen und wird das ganze Jahr weiterlaufen, wenn er nicht auf einen politischen Eisberg auffährt. Bleiben die Risiken aber überschaubar, sind die Voraussetzungen für ein weiterhin gutes Börsenjahr gegeben. (Bettina Pfluger, 6.3.2017)