Kaum jemandem gelingt es, seine eigenen Ideen in Reinform durchzusetzen, sei es im Alltag, sei es in einer politischen Diskussion.

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Betrachtet man den Ursprung des Liberalismus als Gegenbewegung zum Absolutismus in der Aufklärung, so ist durchaus klar, warum diese gesellschafts- und wirtschaftspolitische Strömung wichtig war und bis heute einen Einfluss auf unser Denken hat. Im österreichischen Diskurs wird die Tradition des Liberalismus aber viel zu oft mit Politikverdrossenheit vermischt – heraus kommen kleinliche Tiraden auf vermeintliche Überregulierungen und unnütze Debatten. Die Konsequenzen, die der Wegfall sogenannter staatlicher Überregulierung nicht nur auf das eigene Umfeld, sondern – im Sinne von John Rawls veil of ignorance (Schleier des Nichtwissens) – auf alle Teile der Gesellschaft hat, werden dabei gekonnt verdrängt.

Eine Frage von Perspektiven

In der politischen Kultur ist vieles eine Frage von Perspektiven, und es ist schwer, sich von seiner eigenen zu lösen. Zwei aktuelle Debatten mögen dies veranschaulichen. In der Diskussion um Arbeitszeitflexibilität wird etwa suggeriert, dass flexiblere Arbeitszeiten automatisch im Interesse der Arbeitnehmer sind. Selbstbestimmtheit und Autonomie sind gut, zu viele staatliche Regulierungen sind schlecht. Dabei gibt es gute Gründe dafür, die tägliche Arbeitszeit sehr genau zu regeln, und die liegen nicht etwa in einem längst überholten politischen Programm.

Als Menschen haben wir bestimmte körperliche Ressourcen, die nicht geblockt oder beliebig ausgedehnt werden können. Sehr lange Arbeitszeiten erhöhen nicht nur die Unfallgefahr, schwächen Konzentration und Produktivität und führen zu individuellen gesundheitlichen Problemen. Sie kommen auch teuer zu stehen, wenn große Teile der Bevölkerung auf sozialstaatliche Maßnahmen angewiesen sind. So erscheint es doch seltsam, dass es in der Öffentlichkeit viel schicker ist, über Überregulierung zu klagen, als sich glücklich zu schätzen, dass der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung in Österreich einen so hohen Stellenwert hat.

Kaum inhaltliche Auseinandersetzung

Eine zweite Debatte – die aber geradezu paradigmatisch den Verlauf ähnlicher Debatten veranschaulicht – ist die um die Umbenennung des Heldenplatzes. Da wurde sogleich gepoltert, dass einem Minister, der so etwas anspricht, fad sein müsse und sich die Politik mit sinnvolleren Frage zu befassen habe. Eine inhaltliche Auseinandersetzung fand hingegen nicht statt oder war zumindest kaum sichtbar. Wie auch immer man inhaltlich dazu stehen mag – als Medienkonsument wünscht man sich eine differenziertere Auseinandersetzung.

Zuletzt wurde dem Liberalismus gar unterstellt, dass er ein Bollwerk gegen den Populismus sein könne. Fraglich ist: wie? In Österreich stehen die Chancen dafür jedenfalls schlecht, denn liberale Politik ist mit ihren Angriffen auf Institutionen und Personen schon ziemlich nah dran am Populismus. Fehlverhalten kann man einzelnen Politikern und Institutionen zu Recht in vielen Dingen vorwerfen – aber auf sachlicher Ebene mit Argumenten.

Demokratie und Kompromissbereitschaft

Es ist wichtig, sich den Grund für das Scheitern oder Verwässern vieler Ideen vor Augen zu führen: Demokratie und Kompromissbereitschaft. Kaum jemandem gelingt es, seine eigenen Ideen in Reinform durchzusetzen, sei es im Alltag, sei es in einer politischen Diskussion. Die Umstände ändern sich, es werden bei Verhandlungen einzelne Themen gegeneinander abgewogen. Das ist von außen kaum zu sehen, und deswegen ist Politikverdrossenheit auch so populär.

Aber warum erwartet man von der Politik und der Gesellschaft, dass alle Probleme sofort und eindeutig gelöst werden? Schon die Erwartung von Eindeutigkeit widerspricht dem demokratischen Interessenausgleich. Wenn man nämlich nicht wie ein Autokrat oder Donald Trump mit Dekreten regieren will, dann wird man akzeptieren müssen, dass manche Vorhaben nicht zur eigenen Zufriedenheit umgesetzt werden. Oder zumindest nicht sofort. Das große Ganze ist entscheidend. (Charlotte Reiff, 22.3.2017)