Berlin/Ankara – Nach der Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei fordern deutsche Politiker parteiübergreifend scharfe Konsequenzen für die Türkei bis hin zu Einreiseverboten für türkische Politiker. "Die Bundesregierung muss ein Einreiseverbot für Erdoğan und die türkische Regierung in Deutschland verhängen", sagte die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen der "Bild"-Zeitung. "Sie dürfen hier keinen Wahlkampf für Diktatur und Todesstrafe machen."

Derzeit läuft eine Debatte, ob der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor dem umstrittenen Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei auch in Deutschland Wahlkampf machen wird. Die deutsche Regierung müsse nun "Sanktionen gegen Erdoğan und seinen Clan, wie etwa die Sperrung von Konten, prüfen", fordert Dağdelen.

Deutsche Soldaten stationiert, deutsche Reporter inhaftiert

Außerdem müsse die EU die Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei und die Ausweitung der Zollunion "sofort auf Eis legen" und Deutschland seine Bundeswehrsoldaten aus der Türkei abziehen. "Es kann nicht sein, dass in einem Land deutsche Soldaten stationiert und gleichzeitig deutsche Journalisten inhaftiert sind."

Auch der CSU-Außenexperte Hans-Peter Uhl fordert Konsequenzen: "Ein Wahlkampfauftritt Erdoğans in Deutschland kommt überhaupt nicht infrage – erst recht nicht nach dem Fall Yücel. Mit seiner autokratischen und antidemokratischen Politik und seinem umstrittenen Referendum für eine Präsidialdiktatur treibt Erdoğan die Türkei in den Ruin." Die Festnahme Yücels sei "unverhältnismäßig", der Journalist müsse sofort freikommen.

Auch FDP will Einreiseverbot für Erdoğan

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), fordert ebenfalls die sofortige Freilassung Yücels. "Die Inhaftierung ist ein klarer Fall von Willkürjustiz. Ein Präsident, der so etwas zulässt, ist als Gast in Deutschland nicht mehr willkommen", sagte Mayer der "Bild"-Zeitung.

Ein Einreiseverbot für türkische Regierungsmitglieder fordert auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Deutschland und seine europäischen Partner sollten "das Verhältnis zur Türkei neu bewerten", sagte Lindner den Zeitungen der Funke-Gruppe. "Wenn die Regierung Erdoğan nicht zu einem kooperativen Verhältnis und europäischen Werten zurückkehrt, sollte ihren Vertretern die Einreise zu öffentlichen Auftritten bei uns verwehrt werden."

EU ist besorgt

Auch die EU-Kommission hat die Türkei zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien aufgefordert.

Der zuständige EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sagte der "Welt" vom Mittwoch: Die Europäische Kommission sei sehr besorgt über die große Zahl an Verhaftungen von Journalisten in der Türkei und über die selektive Anwendung der Anti-Terror-Gesetzgebung. "Der Fall von Deniz Yücel zeigt leider, wie berechtigt diese Sorgen sind."

Hahn, der auch für die seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verantwortlich ist, sagte weiter: "Die EU hat wiederholt betont, dass die Türkei als Kandidatenland die höchsten demokratischen und rechtsstaatlichen Standards einhalten muss, insbesondere was die Meinungs- und Medienfreiheit betrifft." Freie und unabhängige Medien seien "essenziell" für eine demokratische Gesellschaft. "Die Union wird diese Position auch weiterhin auf höchster Ebene in Ankara vorbringen", betonte der EU-Kommissar.

Yücel nach Silivri verlegt

Deniz Yücel wurde unterdessen in das Gefängnis in Silivri westlich von Istanbul verlegt. "Dort dürfte er seine weitere Untersuchungshaft verbringen", berichtete die "Welt".

(APA, 1.3.2017)