Die 23-jährige Naimo Ahmed ist durch knietiefen Schnee heimlich über die US-Grenze nach Kanada getrekkt. Sie war aus Somalia geflohen, nachdem ihr Ehemann, ihre Mutter und sechs Familienmitglieder auf ihrer Hochzeit erschossen worden waren. Über Ecuador und Costa Rica gelangte sie erst in den US-Staat Texas. Wegen der geplanten Abschiebung illegaler Einwanderer durch US-Präsident Donald Trump floh sie weiter in die kanadische Provinz Manitoba.

Ahmed ist eine von Hunderten, die in den vergangenen Wochen illegal in Manitoba eingewandert sind. Im klirrend kalten kanadischen Winter riskierten sie Frostbeulen und Schlimmeres. Vor dem kanadischen Gesetz sind sie nicht Flüchtlinge, sondern Asylsuchende, da sie aus den USA kommen. Denn die USA gelten als sicheres Land. Flüchtlinge, die bereits in Amerika einen Antrag auf Asyl gestellt haben, werden in der Regel zurückgeschickt. Das gilt jedoch nur für offizielle Grenzübergänge, nicht für Menschen, die im Niemandsland der Äcker und Wälder unterwegs sind. Sie werden bei ihrer Ankunft verhaftet, erhalten Unterkunft, Essen, Betreuung und können ein Asylgesuch stellen.

Der Grenzübergang in Saint-Bernard-de-Lacolle.
Foto: AFP/Don Emmert

In Toronto drängen sich die Asylsuchenden nun in den Obdachlosenheimen, die ohnehin zu wenig Plätze haben. In der Provinz Quebec sind die Polizeikräfte an der Grenze verstärkt worden, ein provisorisches Aufnahmezentrum wurde eingerichtet.

Mehr Grenzübertritte

Der Premier der Provinz Manitoba, wo besonders viele Menschen über die Grenze kommen, hat die Regierung in Ottawa um finanzielle und logistische Hilfe gebeten. Derzeit sind die Zahlen noch nicht überwältigend, aber der Trend geht nach oben: In Quebec wurden im Januar 452 Asylanträge gestellt, gegenüber 137 im Januar 2016.

Ein Mann versucht in der Nähe von Hemmingford Quebec über die grüne Grenze zu kommen.
Foto: AFP/Geoff Robins

Beim Dorf Emerson in der Provinz Manitoba stahlen sich in sieben Wochen rund hundert Menschen über die Grenze. Wenn das Wetter nicht mehr so kalt ist, werden weit mehr Asylsuchende aus den USA erwartet. Kanadas liberaler Premierminister Justin Trudeau befindet sich in einem riesigen Dilemma. Trudeau hat Flüchtlinge offiziell willkommen geheißen. Wie viele, das ließ er offen. Derzeit wartet seine Regierung die Entwicklung ab. Eine nationale Strategie für eine mögliche rapide Zunahme von Asylsuchenden aus den USA gibt es offiziell nicht.

Der Minister für innere Sicherheit, Ralph Goodale, sagte, Grenzschutzbehörden und Polizei stellten sicher, dass sie mit der Situation wirksam umgehen könnten. "Sie setzen das kanadische Recht durch", versicherte er. Konservative Oppositionspolitiker forderten die Regierung auf, die illegale Einwanderung zu stoppen. Sie sagten aber nicht, wie das passieren solle. Linke Politiker hingegen fordern, dass Kanada das Abkommen mit den USA kündigt, sodass die Flüchtenden legal über die Grenze kommen können.

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Kanadische Polizisten helfen einer Familie über die Grenze.
Foto: Paul Chiasson/The Canadian Press via AP

Noch hat die Mehrheit der Kanadier eine positive Einstellung zur Einwanderung. Wegen der niedrigen Geburtenrate braucht Kanada Immigranten, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Die Einstellung der Kanadier könnte sich ändern, wenn der Eindruck entstünde, Asylsuchende missbrauchten die kanadischen Gesetze. (Bernadette Calonego aus Vancouver, 26.2.2017)