Die myanmarische Bucht von Ngapali ist zehn Kilomter lang und frei von Betonburgen. Höher als die Palmen sind, darf nicht gebaut werden.

Foto: Robert Haidinger
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Fischerinnen und selbstgebastelte Schwimmreifen aus alten Traktorreifen am Strand von Ngapali.

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Einheimische Frauen zischen ihr "ts, ts", wenn sie an dösenden Touristen vorübergehen, Betelpaste als Sonnenschutz im Gesicht.

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Ein traditioneller burmesischer Sonnenschirm, am Strand von Ngapali im Süden Myanmars.

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You need driver – brauchen Sie einen Fahrer? Der junge Mann am Bootsverleih des Bayview Beach Resort schiebt lässig den Katamaran in die Andamanische See. Für den jungen Myanmaren mit dem blauen Poloshirt ist es eine rhetorische Frage. Er ist mit dem Meer aufgewachsen, für ihn gehört es zu den Selbstverständlichkeiten des Lebens, ein Boot durch die Bucht von Ngapali zu lotsen.

Als Gast des Bayview Beach Resort ist man leider ein zahlender Loser. Keine Ahnung, wie man so ein Gefährt steuert, ein Stück den Golf von Bengalen hinein und vor allem wieder zurück. "Ja, bitte, einen Fahrer", auch wenn die Wellen nur sanft schaukeln. Also setzt der Mann seinen Strohhut auf, steckt sich eine Betelnuss in den Mund, zerkaut sie, bis der Mund vom Saft blutig rot glänzt, und fährt hinaus auf das Meer.

Traumhafte Strände zu entdecken

Für ihn ist der Anblick Alltag: der schneeweiße Sand, die kräftig grünen Palmenhaine, der azurblaue Himmel. Richtiger Schlafzimmertapetenkitsch ist sein täglich Arbeitsplatz. Der Katamaran gleitet über das badewannenwarme Wasser, Sandgold, Seetürkis und Himmelblau bilden vom Meer aus ein spektakuläres Farbenpanorama. Die Brise bläst den Kopf frei, Salzwasser spritzt auf das T-Shirt, kaum ein anderes Boot ist an diesem Nachmittag unterwegs.

Die Touristen, Briten, Italiener und Deutsche, die jedes Jahr mehr werden, staunen nur darüber. Myanmar ist im Westen für seine jahrhundertealten Tempel und Pagoden bekannt, in der Ruinenstadt Bagan und in der Fünf-Millionen-Metropole Rangun strecken sie sich in den Himmel. Dass es in dem südostasiatischen Land traumhafte Strände gibt, haben Reisende erst kürzlich entdeckt.

Goldstrand am Golf von Bengalen

Das hat verschiedene Gründe. Zu unsicher war lange die politische Lage im gesamten Land, in Myanmar herrschte bis vor fünf Jahren eine Militärdiktatur. Das Land schottete sich ab. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die Ausländer der Einfachheit halber lieber "The Lady" nennen, war 15 Jahre unter Hausarrest gestanden, bis die Junta 2010 das Urteil aufhob. Hinzu kamen ethnische Unruhen im nördlichen Rakhaing-Bundesstaat, in dessen südlichem Zipfel Ngapali liegt.

Zu gut ausgebaut ist auch die Infrastruktur im Nachbarland Thailand, wo Hotels erstklassigen Service zu günstigen Preisen anbieten. Und jeder Reisende brauchte Geduld, um den Goldstrand am Golf von Bengalen zu erreichen. Mit dem Bus oder Auto aus dem Landesinneren nach Ngapali zu gelangen – etwa 380 Kilometer sind es bis in die Metropole Rangun – dauerte manchmal länger als der Interkontinentalflug ins Land hinein.

Sehnsuchtsort ganz oben auf der Liste

Inzwischen öffnet sich der Staat, Rakhaing gilt als befriedet, und der Tourismus wird zu einer Schlüsselindustrie der Region. Am winzigen Flughafen landen täglich kleine Maschinen aus Bagan und Rangun, und die Bucht von Ngapali ist plötzlich als schönster Strand Asiens heißbegehrt. Diesen Superlativ verlieh der Bucht das vielgelesene Internetportal Tripadvisor – und plötzlich stand Ngapali auf der Liste der Sehnsuchtsorte ganz oben.

Der einheimische Katamaranlenker hat davon nichts mitbekommen. Er sitzt seelenruhig am Steuer, ein paar Brocken Englisch kaut er zwischen der Betelpaste aus – weiter raus? Zurück? Achtung! -, und er fragt sich vermutlich, was die Europäer an diesem Flecken so besonders finden.

Viel Platz für Faulenzer

Ganz einfach: das Zen-Gefühl. Die abgeschiedene Lage, der vielleicht auch trügerische Gedanke, ein authentisches Stück Asien in einem komfortablen Strandurlaub zu finden. Selbst wenn hunderte Touristen in den Resorts entlang der Bucht sind, ist es erstaunlich ruhig am Strand. Im Wasser planscht ein Dutzend Urlauber, den Horizont entstellt kein vorbeirasendes Banana-Boot, niemand pflügt mit Wasserski durch das Wasser, keine fliegenden Händler preisen in Rekordlautstärke Nippes an.

Lediglich einheimische Frauen zischen ihr "ts, ts", wenn sie an dösenden Touristen vorübergehen, Betelpaste als Sonnenschutz im Gesicht, Körbe auf dem Kopf, in ihnen frisches Obst, das sie mit langen Messern blitzschnell aufschneiden und an die Sonnenbadenden verkaufen.

Um die beste Horizontale auszuloten, haben die Faulenzer viel Platz. Die Bucht von Ngapali ist ein zehn Kilometer langer und bei Ebbe etwa 50 Meter breiter Strandstreifen, der sich sichelförmig ins Land schmiegt. Beinahe die gesamte Strecke entlang liegen gut ausgebaute Resorts, keines höher als zwei, drei Etagen. Die Sicht darf nicht verschandelt werden, das hat die Regionalregierung angeordnet. Die Höhe der Palmen gilt als Obergrenze für Hotelbauten.

Niemand teilt gern Paradiese

Die größte Befürchtung der Einheimischen ist, dass man wie Pattaya in Thailand werden könnte: ein All-inclusive-Ziel mit Betonburgen und Unterhaltungsindustrie. Das haben Befragungen für eine Studie der University of Kent ergeben, die vergangenes Jahr die Tourismusentwicklung in Ngapali untersucht hat. Der Region attestierten sie ein moderates Wachstum, der hohe Anteil an örtlichen Hotelangestellten wurde gelobt. Auch die Urlauber wurden in die Befragung miteinbezogen. Das Ergebnis: Die meisten ausländischen Reisenden sind über 50 Jahre alt – und würden bei einem weiteren Ausbau der Küste wegbleiben. Niemand teilt sein Paradies gern.

Genau deshalb wurde bereits ein Baustopp für weitere Projekte verhängt, sagt Daniel Mista, Manager im Bayview Beach Resort. Der junge Deutsche ist erst seit einigen Monaten vor Ort, das Hotel gibt es schon seit fast 20 Jahren. In die Bungalows mit Meerblick ziehen im Winter viele Menschen ein, denen Thailand zu überlaufen geworden ist. Um diese Klientel zu halten, gibt es kaum Unterkünfte für Backpacker. Wer nach Ngapali reist, muss in einem der Mittelklasse- oder Hochpreishotels absteigen. Diese sind wegen der begrenzten Kapazitäten vergleichsweise teurer als Hotels im touristisch erschlossenen Nachbarland. Unter 50 Euro im Doppelzimmer ist fast nichts zu bekommen. Dafür klafft die Preisspanne nach oben nicht weit auseinander. Mit Glück findet man für 100 Euro bereits ein Zimmer in einem Vier-Sterne-Resort inklusive Süßwasserpool, Frühstück, Klimaanlage und seit neuestem sogar Internet.

Die Strandstarre perfektionieren

Wer nach Ngapali reist, weiß, dass er hier wenig machen kann. Am Strand abschalten, Kokosnusssaft schlürfen, sich im Meer abkühlen, gegrillten Fisch essen, und nach 22 Uhr ist Totentanz. Die Seite eines Buches umblättern? Uff, das ist einfach zu anstrengend. Lieber die Strandstarre perfektionieren. Bloß nicht zu viel bewegen, immer schön ausruhen.

Ja, es gibt Tagestauchtouren zu vorgelagerten Inseln – aber die Unterwasserfauna ist in Thailand vielfältiger. Daniel Mista bietet Gästen Bootsfahrten an, das Delta des Thandwe-Flusses hinauf, vier Stunden in einem Fischerkahn entlang gezackter Felsformationen und sanfter Schilfwiesen bis ins 15.000-Einwohner-Städchen Thandwe. Dort gibt es einen Markt und Kolonialbauten der Briten, die in Sandoway, so der englische Name, das Empire vertraten. Doch nur wenige Reisende erwägen diese Tour ins Umland überhaupt, wie der Hotelier zugibt. Lokalkolorit holen sie sich lieber an den Tempeln von Bagan und im Kolonialviertel von Rangun. Ngapali heißt: keine Shops, keine Wahrzeichen drumherum, einfach nur sich selbst genug sein unter knallheißer Sonne.

Frischer Fisch in milder Currysauce

Bei Temperaturen um die 30 Grad am Meer zu liegen, dafür haben die Einheimischen keine Zeit. Erst abends, wenn die Sonne dramatisch im Meer untergeht, kommen die Kinder an das Wasser, um Fußball zu spielen, mit ihren Eltern auf ausgebreiteten Tüchern zu essen und bis in die Nacht hinein zu schwatzen. "Mingalaba" rufen sie den bleichgesichtigen Passanten zu – Guten Abend!

Dieses Wort hören die Urlauber auch, wenn sie einmal ihre Resorts verlassen und einfach auf die andere Seite der Küstenstraße wechseln. In offenen Bierbars verfolgen die Fischer abends die Spiele der Premier League vor einem Fernseher und trinken dazu ein Lager der örtlichen Marke Myanmar Beer. Nebenan bieten kleine Restaurants, die schamlos werblich nur "Best One" oder "Best Friend" heißen, frischen Fisch in milder Currysauce an.

Sinnieren bei einem Gin Tonic

Den Sonnenuntergang läutet man mit einem Cocktail am Südende der Bucht ein, wo die Bar "Pleasant View" auf einem Felsvorsprung gebaut wurde. Bei Flut muss man knietief durch das Wasser waten, bis man sich sein Getränk verdient hat. Oder man fährt quer durch das Fischerdorf Ngapali. Am Ende des Dorfes, auf einer Landzunge gelegen, hat dieses Jahr das "Lighthouse" aufgemacht – eine großspurige Umschreibung für eine Panoramaplattform, auf der Drinks serviert werden. Linker Hand wacht eine turmhohe Buddhastatue, die nach dem Tsunami 2004 errichtet wurde, der hier zum Glück kaum Schaden anrichtete. Unterhalb des Felsens des Lighthouse tuckern die Fischer in ihren Booten vorbei. Der Geruch verrät, dass sie Erfolg hatten.

Bei einem Gin Tonic lässt sich herrlich sinnieren, wie lange die Bucht noch ein relativ unberührtes Dasein führen wird. Die Einheimischen hoffen auf bessere Flugverbindungen, mehr Arbeitsmöglichkeiten und ein wenig Wohlstand. In der Studie der University of Kent heißt es, Ngapali strebe ein "Seychellen plus"-Modell an: einen ausgesuchten Tourismus für Besserverdienende, mit stärkeren Umweltkontrollen und größerer Einbindung lokaler Arbeitskräfte. Für die Urlauber bleibt das Ziel dasselbe wie heute: das süße Nichtstun. (Ulf Lippitz, RONDO, 24.2.2017)