"Die Gerichte haben den Sorgfaltsmaßstab auf ein Maß hochgeschraubt, das nicht mehr haltbar ist", sagt Susanne Kalss, Professor für Unternehmensrecht an der WU Wien.

Foto: B & C Gruppe / APA / Arman Rastegar

Wien – Für österreichische Manager, die sich von hohen Verwaltungsstrafen bedroht fühlen, ist die von der Regierung geplante Aufweichung des Kumulationsprinzips (siehe Ende für den Strafturbo im Arbeitsrecht in Sicht) nur ein schwacher Trost. Das größere Problem für sie ist die Verschuldensvermutung im Verwaltungsrecht, die es Vorständen und Geschäftsführern fast unmöglich macht, bei Verstößen gegen Rechtsvorschriften im Unternehmen die eigene Unschuld frei zu beweisen, sagt Susanne Kalss, Professor für Unternehmensrecht an der WU Wien.

Verantwortlich dafür sei sowohl die Rechtslage als auch die sehr strenge Judikatur der Verwaltungsgerichte. "Die Gerichte haben den Sorgfaltsmaßstab auf ein Maß hochgeschraubt, das nicht mehr haltbar ist", kritisiert die einflussreiche Gesellschaftsrechtlerin im STANDARD-Gespräch. "So viel man auch getan hat, um Fehler zu vermeiden, die Richter werden immer in der Rückschau sagen, es war nicht genug. Das ist ein diabolischer Mechanismus."

Überraschende Judikaturwenden

Diese langjährige Judikatur sei durch den massiven Anstieg bei Verwaltungsstrafen schmerzhafter und willkürlicher geworden. Dazu kämen zahllose neue Vorschriften mit oft unklaren Auslegungen, auch auf der EU-Ebene und überraschende Judikaturwenden, die alle Rechtsunsicherheit schaffen würden.

Da es bei Verwaltungsrichtern wenig Verständnis für die Realität der Unternehmenswelt gebe, müsse der Anstoß für ein Umdenken von der Gesetzgebung kommen, meint Kalss. "Wichtiger als das Kumulationsprinzip wäre es, die Verschuldensvermutung zu beenden", sagt sie. Im Zivilrecht sei man hier schon viel weiter, und im Strafrecht sei durch die Entschärfung des Untreueparagrafen § 153 ein rechtliches Risiko für Manager entschärft worden.

Auch die Judikatur des Obersten Gerichtshof habe dabei geholfen. So habe der OGH in einer Entscheidung zu einem Privatstiftungsvorstand (23.2.2016, 6 Ob 160/15w) die Business Judgement Rule bekräftigt, wonach Vorstände für Managementfehler strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können.

Problem Ad-hoc-Pflicht

Häufig würden österreichische Behörden und Verwaltungsgerichte auch EU-Vorgaben besonders strikt anwenden, etwa bei der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität börsennotierter Unternehmen, sagt Kalss. Bereits Vorplanungen und Zwischenschritte zu kursrelevanten Entscheidungen wie etwa Zusammenschlüssen müssten demnach bekanntgegeben werden. "Das ist eine derart überzogene Verwaltungspraxis, dass die ordnungsgemäße Vorbereitung von Entscheidungen nicht mehr möglich ist", meint Kalss. "Ich erlebe es, wie in Unternehmen deshalb gar keine Unterlagen mehr ausgetauscht werden."

Unternehmen müssten diese Rechtsrisiken zwar ernst nehmen, dürften aber nicht ihre Entscheidungen allein danach ausrichten, sagt Kalss. "Man antizipiert den möglichen Rückschaufehler und verzerrt damit das eigene Verhalten", sagt Kalss. "Aber jedes Risiko lässt sich nicht endgültig ausschließen. Entscheidungen dürfen nicht nur der Absicherung dienen, sondern der Fortentwicklung des Unternehmens." Dennoch sei es sinnvoll, in einen größeren Vorstand Juristen aufzunehmen. (Eric Frey, 20.2.2017)