Nationalsozialistische Propaganda im Netz nimmt zu, ein Gutteil der gestiegenen Zahl an Verfahren nach dem Verbotsgesetz geht auf das Konto von Hasspostings und sonstiger Propaganda-Verbreitung im Netz. Experten stellen der Justiz ein gemischtes Zeugnis aus, was den Umgang mit der verbrecherischen Ideologie betrifft.
Neonazis seien gut über die Grenzen des Strafrechts informiert und loten diese aus, sagt Brigitte Bailer-Galanda vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Eine "massiv genutzte" Gesetzeslücke sei, dass im Gegensatz zur Holocaustleugnung, die strafbar ist, eine Leugnung von Kriegsschuld nicht vom Verbotsgesetz umfasst ist. So würden Neonazis im Netz die Propaganda verbreiten, "die Juden" hätten den Zweiten Weltkrieg angezettelt – und kämen damit straflos durch.
Bailer-Galanda fordert daher, dass auch andere Formen der Leugnung von NS-Verbrechen und auch die teilweise Leugnung der Shoa ins Verbotsgesetz aufgenommen werden. Denn für die Nachkommen der Opfer sei jede Form der Leugnung "eine enorme Beleidigung", sagte die Historikerin bei einer Veranstaltung des grünen Justizsprechers Albert Steinhauser und der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des Inkrafttretens des Verbotsgesetzes.
Facebook und Wirtshaus
Seit Jahren gibt es einen Anstieg an Anzeigen und Verurteilungen nach dem Verbotsgesetz. Das liege einerseits daran, dass einschlägige Äußerungen im Internet schneller greifbar sind als "im Wirtshaus", wie Bailer meint, andererseits aber auch an einer gestiegenen Sensibilität bei Polizei und Justiz.
Es gebe aber lokale Unterschiede, meint Grünen-Abgeordneter Karl Öllinger: Was verurteilt und was freigesprochen wird, hänge stark davon ab, wo die Causa verhandelt wird. Erst vergangene Woche seien an den Landesgerichten St. Pölten und Salzburg zwei sehr ähnliche Fälle angesiedelt gewesen. In beiden Prozessen ging es um Hitler-Verherrlichung und Holocaustleugnung, in einem wurde freigesprochen, im anderen verurteilt.
Das lasse vermuten, dass vieles von der Art der Rechtsbelehrung der Laienrichter durch den Berufsrichter abhängt, so Öllinger – Neonaziprozesse finden immer vor Geschworenengerichten statt.
Keine flächendeckende Schulung
Manchen Angehörigen der Justiz fehle es an Sensibilität, meint Winfried Garscha von der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz. Garscha kritisiert, dass es die von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) angekündigte verpflichtende historische Schulung für angehende Richter immer noch nicht gibt, die Sache sei "eingeschlafen".
Im Justizministerium wird das auf STANDARD-Anfrage dementiert. Zwar sei man im – bei weitem größten – Gerichtssprengel Wien noch "in der Planungsphase", was die Pflichtkurse betrifft, in den Sprengeln Graz, Linz und Innsbruck habe man die Schulungen aber bereits in die Curricula integriert. (Maria Sterkl, 17.2.2017)