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Flugzeugturbinen sind einer der großen Verursacher von Treibhausgasen. Nach Einschätzung der österreichischen Verwaltungsrichter würde eine dritte Flughafenpiste den Ausstoß noch einmal deutlich erhöhen – für sie ein ausreichender Grund, den Bau nicht zu bewilligen.

Foto: EPA/JOCHEN LUEBKE

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Errichtung einer dritten Landepiste am Flughafen Wien-Schwechat nicht zu genehmigen sei, versetzt Vertreter von Politik und Wirtschaft in Schock und blankes Entsetzten. Das ist verständlich. Schließlich sind sie gewöhnt, dass Projekte, die einen Zuwachs an Wirtschaftsleistung, Arbeitsplätzen und nationalem Prestige bedeuten, freudig durchgewinkt und als großer Fortschritt gewürdigt werden. Schließlich sind sie die Vertreter eines Wirtschaftssystems, das seit gut 250 Jahren auf Wachstum und der Verbrennung immer größerer Mengen an fossilen Energieträgern basiert; und schließlich haben sie keine Vorstellung davon, wie eine Welt aussehen könnte, in der das nicht mehr der Fall wäre.

Die Entscheidung des Gerichts wirkt daher wie eine paradoxe Intervention oder das unsanfte Erwachen aus einer Hypnose. Klimawandel ist real. Klimaschutz ist mehr als eine Floskel.

Das Richterkollegium beruft sich in seinem Spruch auf rechtsverbindliche Klimaschutzziele der Bundesregierung, die durch die dritte Piste konterkariert würden. Die Treibhausgasemissionen Österreichs würden allein durch dieses Projekt um rund drei Prozent ansteigen. Durch eine Nichtgenehmigung der Piste würde ein großer Teil dieser Emissionen vermieden, auch wenn ein Teil womöglich nach Bratislava oder München ausgelagert würde. Die Richter führen an, was die Wissenschaft seit Jahren weiß: Selbst wenn das internationale Klimaziel einer Beschränkung der Erwärmung auf zwei Grad Celsius erreicht werden sollte – was mittlerweile höchst unwahrscheinlich ist! -, bedeutet das für Österreich eine Erhöhung um das Doppelte, nämlich vier Grad; ein Szenario, das katastrophale Folgen für unser Land hätte, wenngleich es bereits als optimistisch zu werten ist. Die Richter kommen daher zu dem Schluss, dass das öffentliche Interesse am Klimaschutz das Interesse an wirtschaftlicher Expansion übersteigt. Eine Zeitenwende. Schubumkehr.

Kathartische Wirkung

Die eigentliche Bedeutung des Gerichtsentscheids – auch wenn dieser letztlich durch den Verwaltungsgerichtshof aufgehoben werden sollte – liegt demnach in seiner kathartischen Wirkung: Er lässt erahnen, was passieren müsste, wenn die Politik (und wir alle) den Klimaschutz ernst nehmen würden. Die Klimawende einzuleiten würde unweigerlich bedeuten, den seit den Achtzigerjahren beschrittenen Pfad der "ökologischen Modernisierung" zu verlassen, der stets von einer Vereinbarkeit von Klimaschutz und Wirtschaftswachstum ausgegangen ist. Das vorherrschende Credo, dass wir durch technologische Innovation, Effizienzsteigerung und "mündiges" Konsumverhalten die zerstörerische Dynamik des fossilen Zeitalters umkehren können, müsste über Bord geworfen werden. Das "Win-win" aus Wirtschaftswachstum und Klimaschutz würde als tödliche Selbsttäuschung entlarvt. Schluss mit Gemütlichkeit.

Doch was ist die Alternative? Das weiß niemand so genau. Die gesamte Moderne, ja das Projekt der Aufklärung, der moderne demokratische Staat – sie alle beruhen auf dem Prinzip von materiellem Wachstum und, historisch gesehen, auf dem Verbrennen fossiler Energieträger. Effektiver Klimaschutz bedeutet daher letztlich, der Moderne den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Eine moderne Demokratie, die ohne materielle Expansion auskommen und darüber hinaus ihren materiellen Stoffwechsel massiv reduzieren soll, benötigt ein völlig neues Verständnis von Wohlstand und müsste auch den Wachstumstreiber schlechthin – die Erwerbsarbeit – neu definieren und entschärfen. Eine Gesellschaft, deren Wirtschaft aus freier Entscheidung nicht mehr wächst, benötigt vollständig andere demokratische Institutionen als die auf die Verwaltung materiellen Wachstums spezialisierte liberale Demokratie. Eine postfossile Gesellschaft, das lässt sich jetzt schon sagen, wird mit der heutigen Gesellschaft in etwa so viel gemeinsam haben wie die Feudalgesellschaft des Mittelalters mit der Moderne. Kein Wunder also, dass die Politik lieber Windparks eröffnet, in Sonntagsreden den Klimaschutz beschwört und zugleich im Eiltempo den Ausbau des fossilen Wirtschaftsmodells vorantreibt.

Rituelle Konferenzen

Dass die Politik die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Transformation als Folge des Klimawandels rasch erkennt und entsprechende Umbauprozesse einleitet, ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht eher unwahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass sie die Klimaziele freimütig für obsolet erklärt (außer vielleicht in den USA) und uns offen ins Verderben schickt. Die weitaus wahrscheinlichste Variante ist das Beibehalten der bisherigen Strategie: das Simulieren von Klimapolitik durch rituelle internationale Konferenzen und nationale symbolische Gesetzgebung bei gleichzeitiger Beibehaltung des "business as usual". Die Konsequenz: dass wir mit einem um vier Grad heißeren Klima in Österreich im Jahr 2100 noch sehr gut bedient sein werden und dass viele unserer Enkelkinder wohl nicht sehr alt werden dürften.

Außer freilich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts leitet tatsächlich eine Schubumkehr ein. (Daniel Hausknost, 17.2.2017)