In Nigeria sind die Ressourcen sowohl für Viehhirten als auch für Bauern knapp. Der Streit um Grünflächen und Weideland ist eskaliert.

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Die Stimme von Kabir Kasim, dem stellvertretenden Hauptimam der Zentralmoschee in Kafanchan, wird immer lauter und fängt an zu zittern. Der so ruhig wirkende Mann kann seinen Ärger nicht verbergen. "Wie die ganze Krise begann? Es gab eine Meinungsverschiedenheit zwischen einem Bauern und einem Viehhirten. Dann hieß es fälschlicherweise, dieser habe den Bauern umgebracht. Letztendlich haben Bauern mehrere Viehhirten ermordet. Von ihren Körpern ist nur noch Asche übrig."

Kasim atmet einmal tief durch und versucht sich zu beruhigen. Es ist eine der vielen Geschichten, die versucht, die momentanen Ausschreitungen im Süden des nigerianischen Bundesstaates Kaduna zu erklären.

Kirche veröffentlichte Liste

In der Region rund um die Stadt Kafanchan tobt seit Monaten ein erbitterter Kampf, von dem auf den ersten Blick wenig zu sehen ist. Die Gegend wirkt ruhig, fast verschlafen. Sie liegt mitten in Nigeria, bekommt aber wenig Beachtung. Am frühen Morgen sind auf den Feldern ein paar Farmer unterwegs, die die Ingwerernte einholen.

Nirgendwo sonst in Nigeria ist der Boden so gut dafür. Doch über Ingwer spricht niemand. Stattdessen sind es die vielen hundert Toten. "Ich bin gerade angerufen worden: Man hat wieder Viehhirten umgebracht. Mehr weiß ich noch nicht", sagt Kasim und tippt auf sein Handy.

Um die Toten hätte sich noch vor zwei Monaten vermutlich niemand geschert. Dass dem Konflikt heute mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, liegt an einem Bericht der katholischen Kirche, der mehr als 800 ermordete Farmer sowie zerstörte Kirchen und Häuser in nur drei Monaten aufgelistet hat. Nach der Veröffentlichung Ende Dezember musste die Polizei ebenfalls Zahlen bekannt geben und zählte 204 Opfer. Das Entsetzen war einigermaßen groß.

Bevölkerung wächst und wächst

Für Experten ist es in erster Linie ein Konflikt mit der Frage, wer Einheimischer, wer Zugezogener ist. Im Süden Kadunas führt das zu einer bizarren Situation. Dort leben im Vergleich zu den übrigen Regionen Nordnigerias viele Christen, die sich oft als Eindringlinge fühlen. Muslime, die häufig den ethnischen Gruppen der Haussa oder Fulani angehören, erleben das ähnlich und kritisieren ebenfalls, als Fremdlinge betrachtet zu werden.

In Nigeria, wo die Bevölkerung jährlich um 2,4 Prozent steigt, kommt ein Ressourcenkonflikt hinzu: Äcker und Grünflächen werden zu knappem Gut, das alte Regeln außer Kraft setzt. Viehhirten klagen, dass Farmer alte Weiderouten bebauen. Die ärgern sich wiederum über zertrampelte Felder. Was früher in Gesprächen gelöst wurde, eskaliert heute.

Vergangenes Jahr schätzten die Vereinten Nationen, dass in Nigeria 350 Millionen Kleinwaffen zirkulieren. Viehhirten beschweren sich über Banditen, die ihnen das Vieh stehlen. Da diese meist Fulani und Muslime sind, die sesshaften Bauern aber überwiegend Christen, wird der Landkonflikt zum Religionskampf gemacht.

Kein Schutz in Dörfern

"Die Fulani sind unsere Feinde geworden. Sie kommen in der Nacht und töten uns", erzählt Chom Isa Dang, Pastor der Baptistenkirche in Kachia. Die Kleinstadt liegt ebenfalls im Süden Kadunas und wurde nicht von Angriffen verschont. Was ihm besonders Angst macht, seien das "stille Morden" und die fehlende Sicherheit. In einigen Kleinstädten gebe es zwar Ausgangssperren und mehr Polizeipräsenz, nicht jedoch in den Dörfern, in denen sich die Vorfälle meist ereignen. Doch auch Verhaftungen oder gar Prozesse finden so gut wie nicht statt.

Ganz hat Pastor Dang die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben. Er hat sich der Global Peace Foundation angeschlossen, die Christen und Muslime, Farmer und Viehhirten, Fulani, Haussa und andere ethnische Gruppen zusammenbringen will. (Katrin Gänsler aus Kafanchan, 17.2.2017)