Wien – Durch das Stiegenhaus dringt Gelächter und Gejohle. Mehrere Schülerinnen und Schüler haben sich im Halbkreis um einen Buben geschart, der einige Hip-Hop-Schritte auf die Fliesen legt. Nach seiner Tanzeinlage verbeugt er sich. Unter den applaudierenden Schülern und Lehrern steht auch Bildungsministerin Sonja Hammerschmid. Die "Kleinen" der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau (ILB) zeigen der Politikerin, was sie draufhaben.

Bildungsministerin Sonja Hammerschmid beim Besuch der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau.
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Die "Kleinen", das sind an dieser Schule im zwanzigsten Bezirk in Wien jene Schüler, die den sogenannten "Eingangscluster" besuchen. Klassen, in denen nur gleichaltrige Schüler sitzen, gibt es hier nicht. Im "Eingangscluster" werden Kinder von der Vorschulstufe bis zur dritten Schulstufe unterrichtet, den "Übergangscluster" besuchen Schüler von der vierten bis zur sechsten Schulstufe, und im "Ausgangscluster" wird der Stoff der siebten und achten Schulstufe durchgenommen.

Ab dem kommenden Herbst ist es möglich, dass diese sogenannten "Mehrstufenklassen" nicht mehr als Schulversuch geführt werden müssen – die Schulen können dann selbst entscheiden, ob sie diese Unterrichtsmethode einführen. Allerdings nur an Volksschulen. Die Lernwerkstatt Brigittenau wird ihre Neue Mittelschule weiter als Schulversuch führen müssen.

Freiheit erkämpft

Trotzdem freut sich Direktor Josef Reichmayr über die Reformpläne Hammerschmids. Er hat sich vieles erkämpft, was die Ministerin mit dem Ausbau der Schulautonomie regulär und ohne Schulversuch möglich machen will.

Frontalunterricht gibt es in der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau kaum.
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An der Schule gibt es nicht nur sogenannte "Mehrstufenklassen", in denen Schüler verschiedenen Alters unterrichtet werden, sondern sie ist auch eine Gesamtschule für Kinder zwischen sechs und fünfzehn Jahren. Über zwanzig Prozent der Schüler haben sonderpädagogischen Förderbedarf, sie sitzen mit den anderen Kindern gemeinsam in der Klasse. Die Lernwerkstatt ist eine Ganztagsschule, der Unterricht findet in der Zeit zwischen halb neun Uhr früh und halb vier am Nachmittag statt. Und damit ist die Reformwilligkeit noch nicht zu Ende: Die Lehrer heißen hier Lernbegleiter und unterrichten nach dem Konzept der Reformpädagogin Maria Montessori. Die Kinder setzten sich gemeinsam mit den Lernbegleitern Ziele, sie können selbst entscheiden, wann sie welche Aufgaben erfüllen.

Verschiedene Lehrpläne

Martina Hofleitner unterrichtet im "Übergangscluster" das Fach Deutsch. Bei ihr sitzen Kinder, die nach dem Volksschullehrplan, und solche, die nach dem Lehrplan der Neuen Mittelschule der ersten und zweiten Klassen unterrichtet werden müssen. Hofleitner selbst ist ausbildete Volksschullehrerin. "Viel von dem Stoff der ersten und zweiten Klasse der Neuen Mittelschule ist eine Wiederholung der Volksschule", erklärt Hofleitner, wie sie die Kinder unter einen Hut bringt. Bei der Erstellung der Lernmaterialien und der Lernziele für die Schüler bekommt sie Unterstützung von einem ausgebildeten Gymnasiallehrer.

Deutschunterricht: Bildungsministerin Hammerschmid will genau wissen, welches Märchen dargestellt wird.
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Heute haben die Kinder die Aufgabe bekommen, ein Märchen darzustellen, das sie vorher gelesen haben. Eine Gruppe von drei Buben sitzt an einem Tisch und bastelt aus Flaschenkorken und bunten Federn den Vogel aus dem ostafrikanischen Märchen "Der betörende Gesang des Zaubervogels". Zwei Mädchen haben es sich am Boden bequem gemacht, sie schneiden ihre Märchenfiguren aus einem Karton aus.

Bildungsministerin Hammerschmid will von einem Schüler wissen, wie er weiß, was er zu tun hat. "Ich habe ein Lernziel für diese Woche. Heute habe ich Ansage Nummer 17 gemacht", erklärt er. "Und du hast selbst entschieden, dass du die heute machen willst?" Der Bub nickt.

Mehrere Lehrer in einer Klasse

Möglich ist diese offene Art des Unterrichts vor allem aufgrund zusätzlicher Ressourcen. Die Stadt Wien finanziert elf Unterrichtseinheiten pro Mehrstufenklasse. Dadurch stehen meist zwei Pädagogen in einem Klassenzimmer, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder eingehen können.

Für den Werkunterricht gibt es einen eigenen Raum.
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Mittlerweile ist aufgrund großer Nachfrage das Kontingent für diese Förderungen aber schon aufgebraucht, erzählt Direktor Reichmayr. Das führe zu einer "Zweiklassengesellschaft" bei Schulen mit Mehrstufenklassen. Seine Sorge ist, dass sich die Lage weiter verschärft. Das Bildungsministerium ermöglicht ab Herbst die Mehrstufenklassen an Volksschulen, zusätzliches Geld gibt es aber nicht. "Ich weiß, Sie sind nicht der Finanzminister", sagt Reichmayr fast entschuldigend zu Hammerschmid, als er sie darauf aufmerksam macht. Das Bildungsministerium vertritt die Ansicht, dass sich die Länder die zusätzlichen Gelder selbst in Verhandlungen mit dem Finanzministerium erstreiten sollen.

Schon erreicht hat Reichmayr gemeinsam mit anderen Mitstreitern eine Änderung bei der Notengebung. Im Zuge der Bildungsreform wurde den Volksschulen zwar ermöglicht, die Noten von der ersten bis zur dritten Klasse abzuschaffen, allerdings hat der Gesetzesentwurf vorgesehen, dass die Kinder statt mit Noten mit "standardisierten Formulierungen" beurteilt werden. Reichmayr hat dies in einem Kommentar im STANDARD als "eine Umschreibung der Ziffernnoten" bezeichnet und massiv kritisiert. Die standardisierten Formulierungen sind nun doch nicht Pflicht, das Ministerium hat diesen Vorschlag zurückgenommen. (Lisa Kogelnik, 21.2.2017)