"Wiener Börse ade", sagten zuletzt immer mehr Firmen. Aktienforum und IV wollen der "Erosion" des Aktienmarkts nun Einhalt gebieten.

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Wien – Auf den ersten Blick ist es für den Wiener Aktienmarkt zuletzt recht gut gelaufen. Der Leitindex ATX hat am Mittwoch erstmals seit Mitte 2011 wieder die Marke von 2800 Punkten übersprungen. Damit lag das Börsenbarometer seit Jahresbeginn um fast sieben Prozent in der Gewinnzone nach einem neunprozentigen Zuwachs im Vorjahr. Dass die Industriellenvereinigung (IV) und das Aktienforum dennoch besorgt um den Finanzplatz Wien Alarm schlagen, hat auch weniger mit der Kursentwicklung zu tun als mit dem steten Schwund an börsennotierten Unternehmen.

"Wir haben den eindeutigen Trend, dass Unternehmen die Wiener Börse verlassen", sagt Robert Ottel, Präsident des Aktienforums und Voest-Finanzvorstand. Seit 2013 ist ihm zufolge die Anzahl der Listings um ein Fünftel zurückgegangen. Für diese Erosion sieht Ottel zwei Gründe: Das Fehlen an Börsengängen, um "natürliche Abgänge", wie sie an allen Handelsplätzen vorkämen, zu kompensieren. Dazu kämen regulatorische Belastungen, die Unternehmen zum Rückzug bewegen oder von einer Neueinführung abhalten würden.

Heftige Kritik übte in diesem Zusammenhang IV-Generalsekretär Christoph Neumayer an der Finanzmarktaufsicht FMA: "Wir begrüßen auch die im neuen Regierungsprogramm angekündigte Prüfung der Finanzmarktaufsicht – neben mehr Transparenz und einer effektiven Budgetkontrolle muss dabei vor allem die Rechtssicherheit für die Emittenten im Mittelpunkt stehen." Er vermisst schriftliche und verbindliche Auskünfte der FMA, da bei manchen Regelungen große Interpretationsspielräume bestünden.

Konter der Aufsichtsbehörde

Den Vorwurf der Überregulierung will die Aufsicht freilich nicht auf sich sitzen lassen: Es bestehe etwa bei der Marktmissbrauchsverordnung der EU kein Spielraum, kontert FMA-Sprecher Klaus Grubelnik auf Anfrage. "Das ist direkt anwendbares Europarecht." Die Aufsichtskosten betreffend betonte er, dass diese im relevanten Bereich der Markt- und Börsenaufsicht relativ konstant geblieben seien und sich bloß 2015 geringfügig erhöht hätten. Hinsichtlich des Verwurfs mangelnder Rechtsauskünfte betonte Grubelnik, die FMA beantworte grundsätzlich alle Anfragen, sofern sie vollständig und nicht abstrakter Natur seien.

Auch sonst sieht Neumayer die Politik zur Wiederbelebung des Wiener Aktienmarkts in der Pflicht, wobei ihm etwa die auf 27,5 Prozent erhöhte Kapitalertragsteuer ein Dorn im Auge ist: Diese sei kontraproduktiv für den Finanzplatz und die dadurch generierten Steuereinnahmen "wirklich gering". Des Weiteren im Forderungskatalog: Steuerzuckerln für Börsengänge sowie mehr Wirtschafts- und Finanzbildung für die Jugend. "Wir müssen die Kapitalmarktbildung in frühen Kinderschuhen erhöhen – ohne wird es nicht gehen."

Zudem wünschen sich Neumayer und Ottel die Wiedereinführung eines Kapitalmarktbeauftragten der Regierung. Diese Position hatte bis 2012 Richard Schenz, zuvor Chef der OMV, inne und agierte als Schnittstelle zwischen Politik und den Interessensgruppen des Kapitalmarkts.

In die Diskussion schaltete sich per Aussendung auch der Wiener-Börse-Chef Christoph Boschan ein: "Eigenkapital muss in Österreich wieder gestärkt werden und sollte gegenüber Fremdkapital nicht benachteiligt sein." Die Börse unterstütze daher die Forderungen von IV und Aktienforum, das neben Emittenten auch die Interessen von Banken und Finanzdienstleistern vertritt. Unisono betonten alle die volkswirtschaftliche Bedeutung der Börse: Notierte Firmen erzielten elf Prozent von Österreichs Produktionswert, und indirekt gehe jedes elfte Beschäftigungsverhältnis auf sie zurück. (Alexander Hahn, 19.2.2017)