Sitzen drei Herren im Kaffeehaus und bestellen eine Melange, einen Cappuccino und einen Latte macchiato. Der Kellner dreht sich um, geht zu seinem Kollegen und sagt: "Drei Kaffee für den Tisch da drüben." Dieser alte, aber leider noch immer aktuelle Witz beschreibt ganz gut die Situation im Wiener Kaffeehaus. Ja, da gibt es natürlich noch den historischen Hintergrund und das viel zitierte besondere Flair des Kaffeehauses mit seinen kleinen runden Marmortischen, den abgegriffenen Silbertabletts und den grantigen Kellnern im Smoking.

Das ist es auch, was Touristen fasziniert. Die Qualität des Kaffees kann es nämlich nicht sein. Schaut man in die Tasse mit der dünnen schwarzen Flüssigkeit, möchte man ganz schnell ganz viel Milch dazuschütten. Diese macht das G'schloder zumindest halbwegs trinkbar. Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig beschrieb das Kaffeehaus einst als Institution besonderer Art, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Den Kaffee hat er damals aber wahrscheinlich nicht gemeint, oder er wusste nicht, wie wirklich guter Kaffee schmeckt.

Heute ist man wesentlich aufgeklärter, und trotzdem wehren sich viele der Traditionsbetriebe – getreu dem Motto: Das haben wir immer so gemacht – mit Händen und Füßen, neue Wege zu gehen. Wer also heutzutage wirklich guten Kaffee trinken will, der geht entweder in eines der fast 2.000 Wiener Kaffeehäuser und hofft auf einen "Lucky Shot" oder sucht eine der vielen neuen Kaffeebars der Stadt auf.

Der Kaffee als Hauptdarsteller

Dass Gäste immer kritischer sind, kommt Kaffeeröster Nikolaus Hartmann entgegen. Der ehemalige Architekt röstet seinen Spezialitätenkaffee nicht nur selbst, er schenkt ihn auch in einer temporären Kaffeebar in der Wiener Wipplingerstraße aus. In dem sehr puristisch eingerichteten Lokal mit riesiger Theke thront die "Black Eagle", eine Espressomaschine der italienischen Marke Victoria Arduine – quasi der Ferrari unter den Espressomaschinen. Das verchromte Hightechgerät, das in etwa so viel kostet wie ein Kleinwagen, hat eine eingebaute Waage, die für das richtige Kaffee-Wasser-Verhältnis sorgt. Auch die Kaffeemühle spielt alle Stückerln und kann die Bohnen dank integrierter Temperatursteuerung mit Gebläse auf die Optimaltemperatur bringen.

Neue Generation: Der ehemalige Architekt Nikolaus Hartmann röstet seinen Spezialitätenkaffee nicht nur selbst, er schenkt ihn auch in einer temporären Kaffeebar aus.
Foto: Alex Stranig

Das Wichtigste ist aber der Kaffee selbst. "Grundsätzlich ist alles Kaffee, was aus einer Espressomaschine kommt. Die Qualität der Bohnen ist aber entscheidend. Dass der Kaffee am Ende als perfektes Produkt in der Tasse landet, ist von vielen Faktoren abhängig. Die Bohnen werden über den ganzen Globus transportiert, geröstet und vom Barista gemahlen und als Kaffee serviert. Da sind so viele Hände involviert. Wir versuchen, alle Hände zu kennen. So hat man den größten Einfluss auf den Kaffee", sagt Hartmann und serviert einen starken und vollmundigen Espresso aus Kolumbien, der nach und nach leichte Kirsch- und Traubennoten entfaltet. Ein freudiges Geschmackserlebnis.

Der Anspruch an seine Mitarbeiter ist hoch. "Wer bei uns als Barista arbeitet, muss technische und sensorische Fähigkeiten mitbringen. Außerdem muss man eine Begeisterung für Kaffee haben." Diese Begeisterung haben offenbar nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch Hartmanns Kunden. Eine ältere Dame, die gerade das Lokal betritt, weiß ebenso über den Kaffee hier Bescheid wie der zeitunglesende Student auf dem Sofa oder das Business-Pärchen, das sich auf die kleinen Holzhocker setzt, die im Lokal herumstehen.

Dritte Welle

Diese Third-Wave-Coffee-Shops sind keineswegs eine Hipster-Randerscheinung. Die dritte Welle der Kaffeeszene startete bereits 1990 in Amerika. Als erste Welle bezeichnet man die Filterkaffeezeit zwischen 1930 und 1960. Mit der Zweiten meint man die Zeit von 1960 bis 1990, als Espressomaschinen und To-go-Kaffeegetränke in Mode kamen. Bei Third Wave geht es unter anderem um fairen Handel, sorgfältige Röstung und perfekte Zubereitung des Kaffees. Ein Trend, der nicht zuletzt großen Coffee-Shop-Ketten zu verdanken ist, auch wenn sich die neuen Kaffeebars abgrenzen möchten – nicht nur durch hohe Qualitätsansprüche, auch durch eigenwillige und kaum existente Einrichtung.

Simon Huber (rechts) vom Kaffemik gehört der Third-Wave-Bewegung an.
Foto: Alex Stranig

Das ist auch im Kaffemik in der Wiener Zollergasse so. Kaffemik bezeichnet eine grönländische Tradition. Dabei werden Feiern jeglicher Art in den eigenen vier Wänden abgehalten. Da wird dann gemeinsam gegessen, geplaudert und natürlich Kaffee getrunken. "Die grönländischen Wohnungen sind nicht sehr groß, und es ist ein Kommen und Gehen. So ist das bei uns auch. Man kommt herein, trinkt einen oder zwei Kaffees und geht dann wieder. Unsere Gäste kommen nicht, um stundenlang zu sitzen. Sie kommen des Kaffees wegen", sagt Simon Huber.

Vor drei Jahren hat er die Kaffeebar mit seinem Bruder und Freunden eröffnet. Hier gibt es – wie in den meisten Third-Wave-Coffee-Shops – etwas, das hierzulande im Café kaum jemand bestellen würde: Filterkaffee. Doch dieser Filterkaffee hat nichts mit jenem zu tun, den man bei Kaffeerunden der Großmutter zum Gugelhupf getrunken hat. Dieser Filterkaffee schmeckt komplex, fruchtig und muss nicht in Milch ertränkt werden. Es handelt sich auch hier um Spezialitätenkaffee, der in einer Hightech-Maschine perfekt zubereitet wird.

Ärger über Kaffeehausbetreiber

Dass man nicht in ein Wiener Kaffeehaus geht, wenn man richtig guten Kaffee trinken will, weiß auch Edmund Mayr. Der Pensionist ist Herr über unzählige Exponate im Wiener Kaffeemuseum und betreibt das Kaffeekompetenzzentrum. Seit vielen Jahren bildet er Baristi aus. Einer seiner ersten großen Kunden war die Restaurantkette Wienerwald, für die er Baristaschulungen anbot. Der 75-Jährige weiß viel über die Geschichte des Wiener Kaffeehauses, scheint ihr aber keine Träne nachzuweinen. Vielmehr ist er verärgert über die Arroganz vieler Kaffeehausbetreiber.

"Ein Wiener Kaffeehausbesitzer ließ bei einem Vollautomaten ein Service vornehmen und bekam eine Rechnung über einen geringen Betrag. Darüber hat er sich aufgeregt. Das ist total absurd, nachdem ich weiß, wie viele Kaffeetassen über diese Maschine gelaufen sind und wie viel Geld er damit verdient hat. So mancher Unternehmer kauft lieber einen Schlauch für sein teures Fahrrad als eine Siebträgerdichtung für seine Kaffeemaschine", erzählt Mayr. Im Wiener Traditionskaffeehaus Hawelka nimmt man von derlei Behauptungen Abstand. "Gibst du etwas Gutes hinein, kommt auch etwas Gutes heraus. In einem Kaffeehaus, wo ständig Betrieb ist und viele Tassen verkauft werden, gibt es auch kein Problem mit der Maschine", sagt Günter Hawelka, der in den neuen Kaffeebars keine Konkurrenz sieht.

Edmund Mayr ist ein wandelndes Kaffee-Lexikon und bildet in seinem Kaffeekompetenzzentrum regelmäßig Baristi aus.
Foto: Alex Stranig

Kaffeehausgeschichte

Die Tatsache, dass die Wiener Kaffeehauskultur zum immateriellen Unesco Kulturerbe gehört, dürfte für viele Betreiber und für Touristen offenbar ausreichen. Da nimmt man nicht nur den meist untrinkbaren Kaffee, sondern auch die gesalzenen Preise und den grantigen Kellner in Kauf.

"Der Kellner darf nicht charmant und nett sein. Der grantige Ober gehört einfach zum Wiener Kaffeehaus. Das Schlimmste wäre, wenn jemand zahlen will, und er würde gleich kommen. Er muss ja schließlich vorher noch hundert andere wichtige Dinge erledigen. Es geht hier sehr viel um Tradition", sagt Mayr und weiß noch mehr Geschichtliches zu berichten: "Weil Kaffee sehr harntreibend ist, hat man im 18. Jahrhundert den Schlüssel für die Toilette gleich mit serviert. Dann musste man nicht den Ober damit belästigen. Die richtige Berufsbezeichnung des Kellners war damals Markeur. Das kommt daher, dass damals beim Billard nur der Zahlkellner die Ergebnisse auf die Tafel schreiben durfte. Und weil er die Tafel markiert hat, wurde aus ihm der Markeur. Er war der Höchste in der Hierarchie. Unter ihm kamen der Jean oder Schani und der Piccolo, also der Kellnerlehrling."

Perfekte Zubereitung

Von Hierarchien merkt man in den neuen Kaffeebars wenig. Vielmehr wirkt es so, als würden hier junge Leute machen, was ihnen Spaß macht. "Reich wird man nicht, das wissen wir. Es hat sich auch alles ganz zufällig ergeben. Nachdem der Shop hier frei wurde, haben wir uns gedacht, das würde doch passen", sagt Simon Huber. Die Location sei aber entscheidend. Nikolaus Hartmann sucht mit seinem Kaffee Süssmund noch nach einem festen Standort. Ende nächsten Monats muss er nämlich ausziehen.

Johannes Hornig hat den Standort für seine neue Kaffeebar bereits gefunden. Er führt das traditionelle Familienunternehmen J. Hornig seit 2011. Vor zwei Jahren brachte er eine neue Spezialitätenkaffee-Linie auf den Markt. Jetzt folgt die erste Kaffeebar in Wien, die noch diesen Monat in der Siebensterngasse eröffnen soll.

Obwohl Johannes Hornig einer traditionellen Kaffeerösterfamilie entstammt, brennt er für neue Trends. "Man hat oft das Gefühl, dass viele weltweite Trends ohne Mitwirken von Österreich passieren. In unserer Kaffeebar werden wir internationale Trends aufgreifen", sagt Hornig. So soll der Spezialitätenkaffee in der neuen Kaffeebar auch direkt vor den Augen der Kunden geröstet werden.

Die Coffee-Shops und Kaffeebars in Wien werden jedenfalls mehr und machen dem traditionellen Kaffeehaus – zumindest mit dem Kaffee – Konkurrenz. Auch wenn es sich um zwei völlig unterschiedliche Konzepte handelt. "Ein Coffee-Shop wird nie ein Wiener Kaffeehaus werden – und das soll er auch nicht. Der eine bietet guten, perfekt zubereiteten Kaffee – das andere, Melange, Zeitung und ein Glas Wasser", sagt Edmund Mayr. (Alex Stranig, RONDO, 17.2.2017)

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