Französischer Chic verkauft sich auch im boomenden Onlinehandel mit gebrauchter Mode gut.

Foto: Vestiaire Collective

Alles gebraucht: Balenciaga-Tasche und Gucci-Schlapfen gibt's bei Vestiaire Collective, Chloé-Tasche und Chanel- Armreife bei Rebelle.

Fotos: Vestiaire Collective, Rebelle

Sophie Hersan zählt zu den sechs Gründern des Onlineshops für gebrauchte Luxusmode.

Foto: Vestiaire Collective

Ein glanzloses Gebäude am Boulevard du Général-Martial-Valin, einer vielbefahrenen Straße am südlichen Rand des 15. Arrondissements von Paris. Hinein in die Nummer 33, rauf mit dem Aufzug in den zweiten Stock. Hier türmen sich braune Pakete, hier reiht sich Kleiderstange an Kleiderstange: Handtaschen von Chanel, Sweater von Vetements, Schuhe von Gucci, alles gebrauchte Designerware. Das hier eingemietete Unternehmen Vestiaire Collective hat sich auf den Onlineverkauf von gebrauchter Luxusmode spezialisiert.

Im Büro zwei Stockwerke höher kommt Sophie Hersan, schmale Jeans, High Heels, zerzaustes Haar, mit einem Plastikbecher Kaffee um die Ecke. Sie sieht aus wie die blonde Schwester von "Vogue"-Chefredakteurin Emanuelle Alt. Ihr Geld machen Hersan und Kollegen – sie zählt zu den sechs Gründern von Vestiaire Collective – mit Luxusmode aus zweiter Hand.

Alt sieht diese Mode in den meisten Fällen nicht aus. "Wir müssen im Trend sein, wir suchen gutes Vintage, keine Secondhandware", erklärt Hersan. Für Unternehmen wie Vestiaire Collective ist es eine Sache des Images, möglichst neue Produkte von Modelabels wie Vetements, Gucci, Balenciaga oder J. W. Anderson im Angebot zu haben. Nur ein Bruchteil der Ware besteht aus gealterten Vintage-Stücken, aus Taschen von Hermès oder Chanel, die bei Auktionshäusern wie Christie's als Investitionsstücke gehandelt werden.

Boomendes Geschäft

Das Geschäft jedenfalls boomt. Die Recommerce-Shops, sie heißen The Real Real, Tradesy, Rebelle, Videdressing oder Vestiaire Collective, haben im Modebereich Ebay das Wasser abgegraben. In den letzten Jahren lieferten sich die einstigen Start-up-Unternehmen ein Wettrennen um millionenschwere Investitionsspritzen. "Die Resale-Websites rüsten zum Kampf", schrieb das Webmagazin "Business of Fashion" erst im letzten Jahr.

Auch Vestiaire Collective, 2009 in Paris gegründet, setzt seither auf Expansion. Mittlerweile hat das Unternehmen, das seit seiner Gründung Zuschüsse von Investoren wie Condé Nast in Höhe von 116 Millionen Euro erhalten hat, Büros in Berlin, New York und London. Erst im Jänner stieg ein Investor mit 58 Millionen Euro in das französische Unternehmen ein. Die Eroberung des amerikanischen Marktes steht an – dort ist die Konkurrenz mit Unternehmen wie The Real Real oder Tradesy ganz besonders stark.

Das Interesse an Mode aus zweiter Hand ist in den letzten Jahren weltweit gestiegen, das Angebot hat sich diversifiziert. Ein Großteil der Produkte auf den gängigen Onlineplattformen ist nur wenige Saisonen alt, beim Hamburger Unternehmen Rebelle verkaufen sich Taschen am besten. Die Auswahl der Modestücke und Accessoires im Recommerce-Business erzählt weniger von einer neu entdeckten Lust am Sammeln und Bewahren als vom neuen Tempo in der Mode. Im Kleiderkasten herrscht heute ein fliegender Wechsel. Das ist so neu nicht. Fast Fashion sei seit rund zehn Jahren ein Thema, so Sophie Hersan, das habe zur Konsequenz, dass die Konsumenten heute mehr, gleichzeitig aber auch ausgesuchter kauften.

Statt in Secondhandläden nach Polyesterjacken aus den 1970ern zu wühlen, wird in den Metropolen in Berliner Vintage-Stores wie The Good Store oder Soeur nach speziellen Designerstücken, der Chloé-Faye-Bag oder pelzbesetzten Gucci-Schlapfen, Ausschau gehalten. Die Kunden suchen weniger Kleidungsstücke mit Retro-Charme als günstige Alternativen zu Luxuswaren aus erster Hand.

Auch in Wien hat sich was getan. Seit 2014 verkauft der Laden Das Neue Schwarz in Wien ausgesuchte Designerstücke aus zweiter Hand, zuletzt hat der Luxus-Vintage-Shop Bocca Lupo in der Wiener Leopoldstadt einen dritten Shop eröffnet.

Onlinecommunitys

Die großen Gewinner waren in den letzten Jahren jedoch die Onlineverkaufsplattformen. Die Wahrscheinlichkeit, hier ein Stück zu finden oder verkaufen zu können, ist angesichts der Millionen Mitglieder starken internationalen Communitys größer als im Vintage-Shop um die Ecke.

Dabei sind Vestiaire Collective und Co auf das Engagement ihrer Communitys und auf den ständigen Nachschub exklusiver Ware angewiesen. Immerhin müssen die Verkäufer einige Hürden nehmen, um Jacken, Taschen, Schuhe online zu verkaufen. Das Prozedere? Ein Produkt wird fotografiert und beschrieben, der Verkäufer schlägt einen Preis vor und wartet, bis der Onlineshop das Stück für den Verkauf freischaltet – 30 Prozent der Ware wird bei Vestiaire Collective abgelehnt. Sobald auf der Website des französischen Shops ein Kauf abgeschlossen ist, schickt der Verkäufer das Produkt an das Unternehmen, dort wird es auf seine Echtheit überprüft und dann an den Käufer ausgeliefert. 25 Prozent Provision kassiert man bei Vestiaire Collective für diesen Service, in Vintage-Boutiquen wie Das Neue Schwarz liegt sie meist bei 50 Prozent.

Ohne das Smartphone wäre der Erfolg des Onlinehandels nicht denkbar. Bei dem Pariser Unternehmen laden die fünf Millionen Mitglieder täglich rund 4000 neue Stücke hoch, 70 Prozent der Käufe werden heute über die App erledigt.

Wie sich Vestiaire Collective von der internationalen Konkurrenz abheben will? Jedes Stück auf der Website werde ausgesucht, meint Hersan. Richtline ist der vielbeschworene French Chic – auch hier am glanzlosen Ende von Paris hält man an ihm fest. (Anne Feldkamp, RONDO, 23.2.2017)