"Fast ein Hausbesuch": Van der Bellen, Juncker und Kern in Brüssel.

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Brüssel – "HBK mit HBP in Brüssel", steht auf den Mappen der Mitarbeiter von Christian Kern, "HBP mit HBK" auf jenen der Mitarbeiter von Alexander Van der Bellen. Der "Herr Bundespräsident" und der "Herr Bundeskanzler" besuchen am Montag gemeinsam Brüssel. Am Nachmittag geht es für Van der Bellen nach Straßburg weiter. Kern fliegt zurück nach Wien.

Es ist der erste Auslandsbesuch des neuen Präsidenten, wobei er schon im Flugzeug selber infrage stellt, ob ein Besuch in der EU-Hauptstadt ein Auslandsbesuch sei; ob das nicht vielmehr ein Hausbesuch bei Freunden sei.

Van der Bellen und Kern kennen – und schätzen – einander bereits. Dem Bundeskanzler ist die Erleichterung darüber anzumerken, dass er jetzt nicht mit Norbert Hofer zu Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk reisen muss.

Die beiden sitzen nebeneinander in der ersten Reihe, plaudern. Ein "Symbol", findet der Präsident: für das klare Bekenntnis Österreichs zur "Einheit Europas".

Appell für Einigkeit

Seine Rede vor dem Europaparlament tags darauf hat Van der Bellen bereits im Kopf: Ein flammender Appell für die Einigkeit in der Union. Auch die Rolle des neuen amerikanischen Präsidenten wollte er streifen.

Der Kanzler spannt einen Bogen von der europäischen Gouvernance zu Wolfgang Sobotka. Die eine sei schwierig, der andere auch, aber der Innenminister sei Angelegenheit der ÖVP. Auf SPÖ-Seite sei keine Regierungsumbildung vorgesehen, dass die ÖVP das Innenministerium abtreten wolle, eher unwahrscheinlich.

Die Regierungsmaschine landet. Es geht direkt zum Arbeitsgespräch mit Juncker, der seine Gäste (gemeinsam mit EU-Kommissar Johannes Hahn) am Eingang abholt. Der vorgesehene Zeitrahmen von dreißig Minuten wird kräftig überzogen. Der Kommissionschef trat dann mit HBP und HBK bestens gelaunt vor die Presse: "Grüß Gott", eröffnete er, und ließ so etwas wie einen Wiener Schmäh zutage treten. Nicht nur sei er "geehrt, den frisch gewählten, sich noch im Glanze seines Wahlerfolges strahlenden Bundespräsidenten" begrüßen zu dürfen. "Froh" sei er auch über Kern, "mein Freund, mit dem ich mich regelmäßig austausche, mein Hawara".

Offensive Freundschaftlichkeit

"Trotz mancher unterschiedlicher Auffassungen" habe er mit den Österreichern immer sein Auskommen gefunden, er verstehe einiges von dem Land und führte als Beleg dafür seine regelmäßigen Sommerurlaube und seinen "multinationalen Stammtisch" in Going in Tirol an. "Mir entgeht nichts", sagte Juncker zu Österreich und seinen Besonderheiten.

Bundespräsident Van der Bellen wirkt überrascht von so viel offensiver Freundschaftlichkeit. Er erinnert an seinen langen Wahlkampf, betont die Rolle, die das Thema Europa gespielt habe.

Zu seinen Gunsten beeinflusst sei dieser Wahlkampf auch von jener "tragischen Fehlentscheidung des Brexit" worden. Ihm sei es deshalb ein besonderes Bedürfnis gewesen, die erste Reise nach Brüssel zu machen. Dass der Bundeskanzler ihn begleite, gebe dem Besuch ein ganz anderes Gewicht, zeige, wie ernst Österreich seine Rolle in der EU nimmt.

Kern bekräftigt die Ausführungen des Präsidenten. Man müsse sich klar sein, dass der Einigungsprozess "durch den Aufstieg der Rechtspopulisten in besonderer Weise gefordert" sei. Es gehe nicht nur um den gemeinsamen Wohlstand, sondern auch um eine gemeinsame Wertebasis, der man sich verbunden fühle, "daran darf kein Zweifel bestehen", betonte der Kanzler. Europäer dürfe man nicht nur bei Sonnenschein sein, sondern auch bei Regen und Schlechtwetter.

Gegen Rechtspopulisten

Österreich sei für viele auch ein Symbol dafür, wie man mit Rechtspopulisten umgehen könne, sagte Kern: "Ich bin froh, dass Van der Bellen gewonnen hat."

Juncker hört sich das alles mit sichtlichem Wohlwollen an. Österreich sei früh mit dem Rechtspopulismus konfrontiert worden, er sei auch "froh, dass Van der Bellen die Wahl gewonnen hat".

Eine Journalistin will vom Bundespräsidenten wissen, wie man gegen Rechtspopulisten Erfolg haben könne. "Man darf nicht nachgeben", erklärt Van der Bellen, und "man muss vor allem versuchen, die Jungen auf seine Seite zu bringen". Das sei seine schönste Erfahrung gewesen, wie sich die jungen Leute im Wahlkampf "selber organisiert haben", für ihn und sein klares Bekenntnis zu Europa. Ratspräsident Tusk wird später sagen, "dieser positive Zugang zu Europa verkörpert die Hoffnung von Millionen Europäern".

Juncker hakt ein: In den Niederlanden wie in Frankreich, wo bald gewählt wird, gelte es "sich den Rechtspopulisten entgegenzustellen, man darf nicht den Fehler machen, sie zu imitieren, ihre Slogans nachzumachen".

Österreichs Wünsche

Angesprochen wurde auch die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. die von Österreich angestrebte Bevorzugung von Inländern. Juncker wollte sich dazu nicht weiter äußern. Kern bemühte sich zu betonen, dass es der Regierung nicht um "Inländerbevorzugung" gehe, sondern um Gerechtigkeit. Es dürfe nicht sein, dass entsandte Arbeiter aus Osteuropa zu anderen (schlechteren) Konditionen in Österreich arbeiteten als Inländer. Dazu gibt es offenkundig Dissens mit Juncker. Aber gemeinsam will man jetzt an Lösungen arbeiten, wurde von Kanzler wie auch vom Kommissionspräsidenten beteuert.

Juncker wurde auf seine "Amtsmüdigkeit" angesprochen, wegen seiner Aussage in einem Interview, 2019 nicht mehr für eine zweite Amtszeit kandidieren zu wollen. Er zeigte sich verwundert, das dies auf einmal Thema sei, er habe schon vor Monaten bei Radio Luxemburg erklärt, dass er nicht mehr antreten werde, was aber nicht heiße, dass er amtsmüde sei. Er brauche aber nicht mehr um das Wohlwollen aller Mitgliedsstaaten zu buhlen: "Fünf Jahre reichen." Als eine seiner Hauptaufgaben sieht Juncker, bei den Brexitverhandlungen die Einheit der EU-27 herzustellen. Was Kern deutlich unterstützte: "Wer Mitglied in einem Klub ist, muss bessere Bedingungen haben als jemand, er nicht Mitglied im Klub ist." Alles andere würde einer "Selbstaufgabe Europas" gleichkommen. Da bestehe kein Zweifel an der Position Österreichs. (Thomas Mayer, Michael Völker, 13.2.2017)