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Anhänger des schiitischen Mullahs Muqtada al-Sadr protestierten am Samstag in Bagdad für ein neues Wahlrecht. Die Demonstration wurde gewalttätig, die Sicherheitskräfte schossen.

Foto: REUTERS/Alaa Al-Marjani

Bagdad/Wien – Der Irak ist neben Syrien der wichtigste Schauplatz im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Die Stadt Mossul, in der 2014 Abu Bakr al-Baghdadi sein "Kalifat" verkündete, ist vier Monate nach Beginn der großen militärischen Anti-IS-Offensive nur halb befreit; der schwierigere Teil, die Eroberung des Tigris-Westufers, steht noch bevor. Der IS ist nicht, wie manchmal prognostiziert, Richtung Syrien verschwunden, er hat im Gegenteil zuletzt Ausfälle über den Tigris in Richtung Osten versucht.

Die irakische Erfolgsgeschichte des IS – dessen Vorgängerorganisation nach der US-Invasion 2003 im Irak gegründet wurde – ist nur durch die tiefe konfessionelle Spaltung, hinter der sich politische Hegemonialfragen verstecken, zu erklären. Der schiitisch-sunnitische Konflikt ist neben der Frage der kurdischen Unabhängigkeit der Knackpunkt für den Irak in seinen heutigen Grenzen.

Aber es gibt noch andere Bruchlinien. Die Proteste am Samstag in Bagdad, die mit mindestens sechs Toten, hunderten Verletzten und Raketen auf die ehemalige internationale Zone endeten, markieren einen Wiederausbruch des ständig schwelenden innerschiitischen Konflikts. Der schiitische Mullah, Muqtada al-Sadr, Kopf einer starken, auch im Parlament vertretenen Bewegung, organisierte Demonstrationen gegen die Regierung von Premier Haidar al-Abadi: Die Sadristen verlangen in Hinblick auf die Provinzwahlen im Herbst ein neues Wahlrecht und eine Neubesetzung der Wahlkommission.

Wer ist Muqtada al-Sadr

Muqtada al-Sadr stilisiert sich heute als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der das Land in der Tat lähmt – er hat etwa eine Technokratenregierung verhindert, die Abadi im Vorjahr einsetzen wollte. Sadr stammt aus einer berühmten geistlichen Familie und war, als die USA 2003 im Irak einmarschierten, erst dreißig Jahre alt. Er hatte, vor Saddam Hussein versteckt, im Untergrund gelebt und tauchte als von den verarmten schiitischen Massen getragener starker Führer wieder auf.

Anders als die anderen schiitischen Kräfte, die mit den USA zusammenarbeiteten, bekämpfte er die US-Truppen im Irak. Er versuchte, andere schiitische Leitfiguren zu verdrängen oder sogar auszuschalten. Und im sunnitisch-schiitischen Bürgerkrieg ab 2006 ließ er seine Mahdi-Armee los, die ihm, als er sie zurückpfeifen wollte, nicht mehr gehorchte.

Auch am Samstag verlor Muqtada al-Sadr die Kontrolle: Trotz seiner Aufforderungen, die Demonstrationen friedlich zu halten, kippte die Stimmung, vergeblich rief er seine Leute zum Abzug auf. Auch mit dem Raketenbeschuss – einst ein Markenzeichen der Schiiten aus Sadr-City (der Stadtteil ist nach Muqtadas berühmtem Vater benannt) – wollen die Sadristen nichts zu tun haben.

Da stellt sich für viele die Frage "Cui bono?" (wer profitiert). Sadrs persönlicher Erzfeind im schiitischen politischen Lager ist der frühere Premier Nuri al-Maliki, der Sadr am Ende des Bürgerkriegs in die Knie gezwungen hatte. Auf Wunsch des Iran verhalf Sadr Maliki dennoch 2010 zu einer Mehrheit im Parlament und damit zu einer zweiten Amtszeit.

Sadrs Erzfeind Maliki

Nun will Maliki, der 2014 nach der Eroberung Mossuls durch den IS gehen musste, zurück an die Macht. Wenn Maliki im Süden auftaucht, ist er mit Protesten von Sadr-Leuten konfrontiert. Laut Sadr begünstigt das Wahlrecht Leute wie Maliki. Maliki kann es deshalb nur recht sein, wenn Sadr einmal mehr als Störenfried dasteht – er beschuldigte ihn am Sonntag, den Irak im Kampf gegen den IS zu schwächen.

Geschwächt ist vor allem aber wieder einmal Abadi, der Nachfolger Malikis als Premier und Parteichef der schiitischen Dawa, was ihm Maliki nie verziehen hat. Mitten in der – noch dazu stockenden – Schlacht um Mossul muss er von seinen Sicherheitskräften getötete Demonstranten verantworten und steht in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki.

Hier setzt die Überlegung ein, dass auch der Iran zurzeit eher unzufrieden mit Abadi ist. Das Protokoll eines Telefonats zwischen Abadi und US-Präsident Donald Trump weist in der US-Version einen Passus auf, wonach die beiden über "die Bedrohung, die der Iran für die gesamte Region bedeutet", sprachen. In der irakischen Version betont Abadi immerhin die irakische Souveränität und das Prinzip der Nichteinmischung. Das wird dem Iran, von dem manche gegen den IS kämpfende irakische Milizen abhängig sind, nicht gefallen. Aber der Irak ist ebenso auf die US-Luftunterstützung angewiesen. (Gudrun Harrer, 13.2.2017)