Wien – EU-Recht steht über nationalem Recht – aber das kümmert die Mitgliedsstaaten mitunter wenig. Vor allem in Umweltsachen haben Mitgliedsländer oft auf Zeit gespielt und die Anwendung verbindlicher Rechtsvorschriften verzögert, sagt Franz Maier, Präsident des österreichischen Umweltdachverbands.

Das allerdings könnte teuer werden – denn künftig sollen unverzüglich Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden, wenn Umweltstandards nicht eingehalten werden. Das Bundeskanzleramt nimmt das sehr ernst, der Verfassungsdienst hat am 24. Jänner allen Ministerien und allen Bundesländern vorgerechnet, dass bei der Klagserhebung bereits ein Pauschalbetrag von 2.312.000 Euro fällig wird – und ab der Urteilsverkündung 167.280 Euro pro Tag der Säumnis.

Konsequentes System

Das hat die EU-Kommission am 19. Jänner den Mitgliedsstaaten mitgeteilt: "Die Durchsetzung der Vorschriften liegt im allgemeinen Interesse. Wenn ein Thema in den Vordergrund rückt – wie Pkw-Abgaswerte bei Zulassungstests, Wasserverschmutzung, illegale Deponien und Verkehrssicherheit –, dann sind nicht fehlende EU-Vorschriften das Problem, sondern vielmehr die Tatsache, dass das EU-Recht nicht wirksam angewendet wird. Wir brauchen deshalb ein konsequentes, effizientes und wirksames Durchsetzungssystem, das gewährleistet, dass die Mitgliedsstaaten das EU-Recht in vollem Umfang anwenden, umsetzen und durchsetzen, und den Bürgern angemessener Rechtsschutz zur Verfügung steht."

Maier sieht das durchaus positiv: "Die EU-Kommission verschärft ihre Gangart in Umwelt- und Naturschutzfragen und reagiert damit auf oft jahrelange Verzögerungsstrategien. Damit werden erstmals empfindliche Strafen wahrscheinlich. Denn es gib kein Pardon mehr bei Klagen – Strafzahlungen, also Zwangsgelder und Pauschalbeträge, werden künftig bei jeder Klagserhebung mitbeantragt und damit bei Verurteilung fällig."

So sieht das auch der Verfassungsdienst. Er warnte: "In Vertragsverletzungsverfahren betreffend die Nichtumsetzung von Richtlinien, in denen eine Klage vor dem Gerichtshof eingebracht wird, muss daher davon ausgegangen werden, dass die Zahlung eines Pauschalbetrages auch durch Umsetzung während des gerichtlichen Verfahrens nicht mehr abgewendet werden kann."

Nachsichtige EU-Bürokraten

Bisher hat die EU durchaus Nachsicht gezeigt, wenn auf Landes- oder Bundesebene die europarechtlichen Vorgaben nicht oder nicht vollständig eingeleitet worden sind. In der Regel erfolgte ein großzügiger Einsatz des so genannten EU-Pilotverfahrens. Dieses Verfahren ist ein zeitlich unbegrenztes "Vorverfahren", das die Mitgliedsstaaten zur besseren Umsetzung von EU-Richtlinien bringen sollte. Maiers Erfahrung: "Meist brachte dieses Vorverfahren aber keine bessere und schnellere Umsetzung, sondern bewirkte lediglich ein in die Länge ziehen der Verfahren. Wenn es gar nicht mehr vermeidbar war, haben die staatlichen Stellen dem Europarecht Genüge getan und die Sache war vom Tisch. Jetzt aber droht eine Strafe, wenn das Verfahren im Sinne der Kommission entschieden wird."
Die Kommission wird künftig bei Vertragsverletzungsverfahren auf EU-Pilotverfahren künftig nur noch in Ausnahmefällen zurückgreifen.

Erzieherischer Effekt

Im Umweltministerium ist man allerdings "nicht besonders alarmiert", denn dort geht man davon aus, dass laufende Verfahren nicht betroffen sind. Dies ist korrekt, sagt Maier. Aber er vermutet, dass das laufende Natura-2000-Verfahren neu gestartet wird: Und dann könnten tatsächlich Strafen verhängt werden.

Wobei Maier auf den erzieherischen Effekt setzt. Kaum ein Entscheidungsträger wird sich künftig säumig zeigen, wenn ihm bewusst wird, dass Verstöße gegen europäisches Recht zu Verurteilungen und Amtshaftungsverfahren führen könnten. Jedenfalls sei die Bundesregierung am Zug: "Die Regierung sollte nicht nur im Interesse der Umwelt, sondern auch im Interesse des Steuerzahlers ihr aktuelles Arbeitsprogramm um die Sanierung der offenen Vertragsverletzungsverfahren ergänzen." (Conrad Seidl, 12.2.2017)