Alain Gomis' "Félicité" lief am Wochenende im Wettbewerb der Berlinale. Hauptdarstellerin Véro Tshanda Beya verkörpert ihre Rolle mit großer Intensität.

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Josef Hader in seinem Regiedebüt "Wilde Maus".

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"Die deutsche Komödie lebt!" Solche noch vor wenigen Jahren vollkommen unsinnigen Aussagen bekommt man auf der Berlinale dieser Tage selbst von verlässlichen Filmkritikern zu hören. Genauer betrachtet ist die Sachlage freilich komplizierter. Denn Toni Erdmann ist in Wahrheit so wenig eine typisch deutsche Komödie wie sich Josef Haders Humor unseren liebenswerten Nachbarn in jeder Nuance erschließt.

KinoCheck

Der Anlassfall: Wilde Maus, Haders Regiedebüt, das am Wochenende dem Wettbewerb die erste Tragikomödie schenkte. Nach den kunstgewerblichen Kapriolen der ersten Tage sah man dem ironisch abgefederten Drama um das plötzlich hereinbrechende Unglück des Musikkritikers Georg gern zu. Nach zwanzig Jahren verliert dieser seine Redakteursstelle und gerät daraufhin auch in ärgere Beziehungsnöte, weil er die Erniedrigung zu Hause verschweigt.

Die Figur mag ein wenig zu nahe an den anderen Hader-Zauderern orientiert sein, die bereits durchs heimische Kino gestolpert sind. Doch in Wilde Maus ist sie stärker im Milieu einer urbanen Boheme verankert, die sich etwas zu selbstgefällig vom Rest der Welt abzuschotten wusste. Die neue Freiheit ist für Georg dann auch eher unangenehm, und der Film dann am besten, wenn er sich von der etwas formelhaften Rache- und Revanchegeschichte seines Helden entfernt und sich mehr dessen zwischen Verzweiflung und Komik changierendem Alltag widmet. Hader erzählt in Cinemascope von einem Mann, dessen Rebellentum eher kleinformatig bleibt.

Mutterliebe

Allein gegen den Rest, so lautet auch die Devise zweier weiterer Wettbewerbsfilme. Mit großer Intensität verkörpert die kongolesische Schauspielerin Véro Tshanda Beya in Alain Gomis' Félicité eine Sängerin, die ihrem bei einem Motorradunfall verunglückten Sohn eine Operation ermöglichen will.

Félicité film

Weil das Geld dafür fehlt, versucht sie es bei unzähligen Adressaten einzutreiben. Ihre Beharrlichkeit ist beachtlich, sie erduldet selbst Gewalt. Doch Gomis belässt es bei keinem Drama um soziales Engagement, sondern erweitert die Perspektive im letzten Drittel zur Erfahrung einer Totalität von Sinneseindrücken.

Es entsteht ein Fluss aus Traumsequenzen, musikalischen Intermezzi, Gewaltausbrüchen auf den Straßen Kinshasas und der Beschreibung von Solidarität im Privaten. Gomis gelingt es eindrucksvoll, den eingeschränkten Blick auf die Armut zu erweitern und seinen Figuren damit Würde als eine Form der Selbstbehauptung zurückzuerstatten.

Zwischen Damen- und Männersauna

Una mujer fantástica vom Chilenen Sebastián Lelio (Gloria) ist geradliniger, weniger sprunghaft. Doch auch Lelio ist daran gelegen, keine einseitige Leidensgeschichte zu erzählen, sondern das Selbstbewusstsein, die Ruhe und Konsequenz seiner Heldin zu betonen. Im Mittelpunkt steht Marina (Daniela Vega), eine Transgenderfrau, die mit den Ressentiments der Familie ihres Geliebten konfrontiert wird, als dieser plötzlich an einem Aneurysma stirbt.

El antepenúltimo mohicano

Das Zuschauerauge zu verführen gelingt dem Film besonders gut. Denn Marina wird nicht queer-exzentrisch in Szene gesetzt, sondern als attraktive, eher unauffällige Frau, die eigentlich nur in Würde Abschied von ihrem Mann nehmen will. Ihr Erscheinungsbild reflektiert sich wiederholt auf Spiegeln, einmal tritt sie in der Sauna vom Damen- fast unbemerkt in den Männerbereich: Lelio hat eine elegante Form gefunden, von den Korridoren zwischen den Geschlechtern zu erzählen. Die Gegenreaktion der Familie fällt etwas zu erwartbar aus.

Keiner ist zufrieden

Das kann man von den Figuren von Alex Ross Perry (Queen of Earth) nicht behaupten, denn sie kommen kaum aus ihren Gefühlskäfigen heraus. Der US-Regisseur erzählt in Golden Exits von einer jungen Australierin (Emily Browning), die im Frühling nach New York kommt, um bei einem Archivisten (Ex-Beastie-Boy Adam Horovitz) an einem Nachlass zu arbeiten. Die attraktive Frau bringt Unruhe in das Umfeld des Mannes, bald wird deutlich, dass in diesem kleinen Ausschnitt der Welt keiner mit seiner Lebenswahl aufrichtig zufrieden ist.

Official Movie Trailer 2017

Perrys Film ist die misanthropischer Version eines Eric-Rohmer-Films. Er überzeugt durch die Hartnäckigkeit, mit der er in Winkel blickt, in denen das Unglück meist ganz wortlos bleibt. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, 12.2.2017)