Das kleine Camp der Gegner des Murkraftwerkes in Graz wurde von Privatsecurityleuten geräumt. Die Polizei schaute zu und sicherte die Zäune rund um das Rodungsgebiet.

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Graz/Wien – "Aaaaahhhhhhh!" Ein lauter Schrei schallt durchs Baustellengelände, als ein Baum aufs Murufer kracht. Eine junge Frau mit dicker Haube und Schal gibt dem umfallenden Baum sozusagen ihre Stimme, um das Leid, das das lebende Stückl Holz ihres Gefühls nach zu ertragen hat, hörbar zu machen.

An die 70 Demonstranten stehen am Bauzaun und verfolgen die sukzessive Abholzung des linken Murufers, das für den Bau des umstrittenen Murkraftwerkes in Graz vorbereitet wird. Manche weinen. Auf der anderen Seite des Maschenzauns stehen Polizisten, die die Rodungsarbeiten absichern. "Verweigert die Befehle, verweigert die Befehle!", hören die Beamten in Uniform. Auf einem Baum weigert sich seit Stunden ein Demonstrant, wieder herunterzukraxeln.

In den frühen, bitterkalten Morgenstunden am Freitag wurde das kleine Protestcamp am Murufer geräumt. Es sei mitten im Bau bereich gestanden, sagt Polizeisprecher Jürgen Haas. Aktivisten gaben an, dass dabei auch Gewalt von Securityleuten der Firma KLS angewendet worden sei. Lisa Rücker von den Grazer Grünen, die gemeinsam mit KPÖ-Chefin Elke Kahr vor Ort war, bestätigt das: "Einige Leute der Sicherheits firma haben ihre Befugnisse überschritten."

"Freiwillig und friedlich"

Es habe keine gröberen Reibereien gegeben, meint hingegen Polizeisprecher Haas. Es habe für die Exekutive keinen Anlass gegeben einzugreifen. Die Demonstranten hätten das Camp "freiwilligt und friedlich" verlassen, so Haas zum STANDARD. Im Laufe des Vormittags entstand in einiger Entfernung bereits ein neues, wohl wieder temporäres "Murcamp". "Laut, stark und wild, die Mur wird ewig fließen", hörte man die Umweltschützer singen.

Bürgermeister und Kraftwerksmotor Siegfried Nagl (ÖVP), der vor einer Woche einen deutlichen Sieg bei den Grazer Gemeinderatswahlen davongetragen hatte, ließ sich draußen bis Freitag nicht blicken. Wegen des Politstreits mit der zweitstärksten KPÖ, die das Murkraftwerk ablehnt, waren die Wahlen vorverlegt worden. Bis Freitagmittag hat Nagl bereits eine erste Gesprächsrunde mit den Spitzenkandidaten der anderen Parteien absolviert.

Nagls Njet zur KPÖ

Das Nein zu einer Koalition mit der KPÖ sei für ihn nach den Protesten gegen das Murkraftwerk noch deutlicher geworden, sagte Nagl. Die Kommunisten würden die Aktivisten unterstützen: "Das sind Chaoten, die zum Teil nicht einmal Grazer sind."

Das geplante Kraftwerk in Graz-Puntigam ist das dritte Wasserkraftwerk, das innerhalb von 15 Kilometern der Mur elektrischen Strom abtrotzen soll. Weiter südlich wurden 2011 das Kraftwerk Gössendorf und 2013 das Kraftwerk Kalsdorf in Betrieb genommen. Beide versorgen zusammen rund 45.000 Haushalte mit Strom. Das Kraftwerk Graz ist für 20.000 Haushalte (samt E-Autos) konzipiert, die Investitionssumme beträgt laut Energie Steiermark rund 80 Millionen Euro.

Gegner des Projekts bezweifeln die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks, darunter auch Radko Pavlovec, der bis 2011 Anti-Atom-Beauftragter des Landes Oberösterreich war und jetzt als Privatier mit eigener Energieberatungsfirma tätig ist. Er zieht Vergleiche mit dem 1999 in Betrieb gegangenen Wiener Kraftwerk Freudenau. Letzteres sei zwar viel größer dimensioniert, doch die spezifischen Errichtungskosten (Kosten pro Megawatt installierter Leistung) seien bei beiden Projekten nahezu identisch. "Die extreme Höhe der Investitionskosten von 6,7 Millionen Euro pro Megawatt sollte in Graz alle Alarmglocken schrillen lassen", meint Pavlovec und empfiehlt einen Projektstopp.

Der WWF hat Sachverhaltsdarstellungen bei der Grazer Staatsanwaltschaft angekündigt. Die Auflagen der Umweltverträglichkeitsprüfung seien nicht alle erfüllt worden. Unter anderem habe es vor der Rodung nicht die vorgeschriebene Absammlung und Umsiedlung der geschützten Würfelnattern gegeben. (Walter Müller, Michael Simoner, 10.2.2017)