"The Dinner": Ein Abendessen legt den Blick auf das poröse Innenleben einer US-Familie frei.

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V. li.: Regisseur Oren Moverman und seine Schauspieler Richard Gere, Laura Linney and Steve Coogan bei der Berlinale.

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Jedes Filmfestival beginnt mindestens zweimal. Nach dem verpatzten Start mit dem zähen Musikerdrama Django blickte man am Tag darauf mit einiger Hoffnung dem neuen Film von Oren Moverman entgegen. Der in Amerika arbeitende israelische Regisseur hat sich schon öfters mit gesellschaftlichen Ungereimtheiten der USA beschäftigt. Vielleicht, denkt man, reflektiert er ja auch die Wege zu jener Gegenwart, die uns nun täglich einen Wut-Tweet von Präsident Trump beschert.

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In The Dinner geht es um ein Abendessen, das den Blick auf das poröse Innenleben einer US-Familie freilegt. Zwei Brüder treffen einander mit ihren Frauen (Laura Linney, Rebecca Hall) im Luxusrestaurant zur Aussprache. Der eine, Paul (Steve Coogan), ist Geschichtelehrer, der andere, Stan (Richard Gere), ein Politiker, der als Governor kandidiert. Das Verhältnis ist, gelinde gesagt, angespannt. Denn Paul, ein labiler Zyniker, hat sich im Schatten seines erfolgreichen Bruders immer leid gesehen.

Konversationsstück mit Rufzeichen

Damit ist die Ausgangssituation für ein zugespitztes Konversationsstück umrissen, in dem Dialoge die Rolle von Kinnhaken übernehmen. Doch Movermans Adaption von Herman Kochs gleichnamigem Roman hat höhere Ambitionen. Der Film will die Protagonisten ihrer moralischen Defizite überführen: Sei es in Rückblenden, die szenenhaft Ursachen für Misstrauen und Wut umreißen, sei es über das Verbrechen zweier Söhne, das aus dem Hintergrund langsam ins Zentrum der Arbeit rückt.

Kurzum, Movermans Arbeit steht der Anspruch der Kontroverse auf die Stirn geschrieben. Doch dem Film gelingt es zu selten, über die Häufung von Rufzeichen hinauszugelangen. Fahrig und zerrissen bleibt die Erzählstruktur. Auch filmisch wirkt The Dinner in seiner veredelten Trashoptik unentschieden. Die Mischung aus sarkastischer Satire und Gesellschaftsanalyse bleibt auf halbem Wege stecken.

Keine geeignete Hauptdarstellerin

Einen mehr auf das Kino gerichteten Spiegel hat Nicolas Wackerbarth im Sinn. Sein zweiter Spielfilm heißt Casting, er läuft im Forum. Der Titel ist hier auch Programm. Regisseurin Vera (Judith Engel) hat sich auf ein TV-Remake eines der eiskalten Liebeskammerspiele Rainer Werner Fassbinders, Die bitteren Tränen der Petra von Kant, eingelassen. Ein Wagnis, ein Wahnsinn, der nun noch durch den Umstand erschwert wird, dass sie keine geeignete Hauptdarstellerin findet. Eine Großschauspielerin nach der nächsten wirft sich beim Casting ins Gefecht, doch immerzu fehlt etwas, bäumen sich Hindernisse auf.

Wackerbarth hat einen Improvisationsraum entworfen, im doppelten Sinne: Alle Darstellerinnen und Darsteller spielen ohne vorgefertigtes Drehbuch Situationen durch, in denen es um das Aus-der-Rolle-Fallen geht. Andreas Lust ist im Part der "Ansprechwurst" Gerwin schlicht furios; er verdingt sich einfühlend in der Rolle des Dialogpartners der Diven, hofft aber insgeheim darauf, selbst den Part zu bekommen.

Aufs Schönste verschwimmen in diesem Film die Grenzen zwischen Realität und Spiel, Rolle und Liebesobjekt. Zugleich treten die filigranen Machtverhältnisse hervor, die sich bei der kollektiven Anstrengung eines Filmdrehs unaufhörlich konstituieren und wieder zerbröseln. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, 10.2.2017)