Wege entstehen im Gehen, Standpunkte mitunter auch. Die alte Frage jedenfalls, ob das Sein das Bewusstsein bestimme oder umgekehrt, ist in der österreichischen Sozialdemokratie einmal mehr umstritten: Christian Kern bei seiner programmatischen Rede in Wels.

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Wir leben im neunten Jahr nach der Finanzkrise. Wir haben neue Bedrohungsbilder. Das Zusammenspiel von Globalisierung und Digitalisierung entwickelt eine Wucht, die Wirtschaft und Gesellschaft massiv verändern wird. Darauf muss die Politik Antworten geben – mit aktiver Wirtschaftspolitik, progressiver Bildungspolitik und konsequenter Sicherheitspolitik. Und über all dem die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit beantworten.

Oft genug verheddert sich die politische Debatte in Propagandaschlachten, die Twitter und Facebook überlaufen lassen, verstärkt durch eine Bubble aus Protagonisten, Lobbyisten, Sympathisanten, Journalisten. Das ist vielleicht unterhaltsam, aber am Ende nicht Politik. Die konkreten Linien zählen, nicht 140-Zeichen-Quick-Analysen.

Der ultimative Gradmesser für Politik ist, wie das Leben von Österreicherinnen und Österreichern konkret verbessert wird. Menschen wie René sollen profitieren, ein junger Angestellter aus Judenburg, den ich getroffen habe, als ich in der Steiermark unterwegs war. Er zweifelt, ob er mit seiner Frau Susanne Kinder in die Welt setzen kann. Kann er ihnen ein schönes Leben bieten? Werden sie sicher aufwachsen? Was ist, wenn er seine Arbeit verliert?

Nach diesen Fragen richtet sich mein Verständnis von Politik. Ich habe es im Plan A dargelegt, einiges davon findet sich im neuen Regierungsprogramm.

Es trägt den Namen: "Für Österreich", nicht "für SPÖ und ÖVP". Es ist einfach, eine Bundesregierung in die Luft zu sprengen. Taktisch wäre es für die SPÖ gar nicht schlecht gewesen, meinten viele Beobachter. Nur: Für die SPÖ hat immer der Grundsatz gegolten, dass die Staatsverantwortung vor dem Eigeninteresse steht.

Ein großer Schwerpunkt im Plan A wie im Regierungsprogramm ist die aktive Wirtschaftspolitik zur Bekämpfung der Ar-beitslosigkeit. Erfolgreiche sozialdemokratische Kanzler hatten oft ein ausgeprägtes Wirtschaftsverständnis.

Bruno Kreisky hatte Hannes Androsch, Franz Vranitzky und Viktor Klima haben große Unternehmen geführt, Alfred Gusenbauer ist bis heute gefragter Gesprächspartner von Wirtschaftsnobelpreisträgern.

Ich bin überzeugt, dass jeder, der Arbeit gibt und Arbeit schafft, un- ser Bündnispartner ist. Deshalb: Lohnnebenkosten senken, um Jobs zu schaffen, Investitionsanreize für den Aufschwung schaffen und Forschung und Entwicklung fördern. Damit Österreich ein Qualitätsstandort bleibt, weil wir nicht auf Billiglöhne und niedrige Umweltstandards setzen dürfen. All das mit dem Ziel, mehr Wohlstand zu schaffen, von dem alle etwas haben. Für sichere Beschäftigung und ein gutes Einkommen zu sorgen, das den Menschen ein schönes, erfülltes Leben ermöglicht, das ist die Lebensaufgabe der Sozialdemokratie.

Wir wollen einen unternehmerischen Staat, der klug investiert, ein Partner für die Wirtschaft ist und die Basis schafft für private Investments ohne zusätzliches Steuergeld – große Programme für Start-ups und eine Energiewende sollen privates Kapital mobilisieren und unseren Jungen Perspektiven geben. Wer an der Zukunft arbeiten will, soll in Österreich noch mehr Chancen bekommen und nicht sein Glück in Berlin, London oder im Silicon Valley suchen müssen.

Die kleinen und mittleren Betriebe brauchen unsere Unterstützung. Das ist der Mittelstand, hier ringen Menschen jeden Tag um Aufträge und Kunden. Für sie senken wir die Lohnnebenkosten für neue Mitarbeiter, wir werden Bürokratie reduzieren, und der einfachere Privatkonkurs macht es möglich, zu scheitern, ohne ins Bodenlose zu fallen. Dass Scheitern nicht das Ende ist, sondern der Anfang einer zweiten Chance ist, das müssen wir lernen. Denn Österreich muss eine Gründernation werden – 40 Prozent der neuen Arbeitsplätze in Österreich entstehen durch Neugründungen.

Der Markt alleine wird es aber nicht richten. Vor allem nicht dort, wo es strukturelle Benachteiligungen gibt: bei Frauen und bei älteren Arbeitslosen. Da muss die Politik aktiv dagegenhalten, ein Mindestlohn von 1500 Euro entsteht nicht von alleine, genauso wie ein aktives Angebot für Beschäftigung für Menschen über 50.

Rund 200.000 Frauen werden von der Anhebung der Mindestlöhne profitieren. Genauso wie vom zweiten verpflichtenden Gratiskindergartenjahr und der Beschäftigungsaktion für Menschen über 50. Gerade Frauen gehen besonders oft von der Arbeitslosigkeit in die Pension, das schwächt ihr Einkommen im Alter.

Mit der verpflichtenden Frauenquote für die Aufsichtsräte von großen Unternehmen werden wir einen kräftigen Sprung in die gläserne Decke schlagen.

Die Chancen des Umbruchs durch Digitalisierung und Globalisierung können wir nur mit bester Bildung nutzen. Bildung fängt im Kindergarten an, wir setzen auf einen massiven, kostenfreien Ausbau der Plätze, der Öffnungszeiten und der Qualität.

Wir werden die Klassenzimmer digitalisieren, jedes Kind wird Zugang zu einem Laptop oder einem Tablet haben. Mit der Autonomie wird im österreichischen Schulsystem ein Kurswechsel eingeläutet – Motto: Entscheidungen werden in der Schule getroffen, nicht in der Bürokratie. Wir werden die Lehre aufwerten, wir wollen in Lehrlinge genauso viel investieren wie in Schülerinnen und Schüler auf höheren Schulen.

Aktive Wirtschafts- und Bildungspolitik sind essenziell für eine sozialdemokratische Partei, genauso wie konsequente Sicherheitspolitik, um die Bürger zu schützen – entlang der Pole Sicherheit und Freiheit. Um den Bedrohungsbildern zu begegnen, sind Maßnahmen, wie die Überwachung von Wohnungen oder Büros von Tatverdächtigen auf deren Autos auszuweiten, ebenso überfällig wie ein Schließen von Ermittlungslücken bei Prepaidhandys oder der Internettelefonie. Natürlich immer nach richterlicher Genehmigung, mit Respekt vor der Verfassung. Keine Bundesregierung darf über dem Rechtsstaat stehen.

Was haben René und Susanne davon? Zuallererst sollen sie mit Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft blicken können.

Wenn wir das Wachstum und die Innovationskraft in Öster-reich ankurbeln, dann wird sein Arbeitsplatz sicher bleiben. Wenn Susanne wieder in die Arbeitswelt einsteigt, soll sie zumindest 1500 Euro verdienen. Susanne, René und ihre Kinder sollen von besserer, kostenfreier Kinderbetreuung profitieren, später sollen die Kinder die beste Bildung bekommen, in einer digitalen Klasse oder in einer Ganztagesschule, danach auf eine exzellente Universität in Österreich gehen können, ohne Studiengebühren zahlen zu müssen. Aber auch eine Facharbeiterkarriere soll attraktiv für sie sein, nach einer hervorragenden Lehrlingsausbildung.

Arbeitschancen

Wenn René und Susanne über 50 sind, sollen sie nicht zum alten Eisen gehören, sondern noch Chancen am Arbeitsmarkt haben.

Auf die neuen Herausforderungen zu antworten und sie zu einer Chance für Susanne und René zu machen, das ist unsere Aufgabe. Wir Sozialdemokraten können sie nur erfüllen, wenn wir die Kraft der Veränderung sind. Wenn Gerechtigkeit, sozialer Ausgleich und Chancengleichheit im Mittelpunkt unserer Politik stehen und wenn zuerst das Land kommt, dann erst die Partei. (Christian Kern, 10.2.2017)