Theater muss dampfen: "Operation Zinnober" ab Sonntag im Wiener Volkstheater.

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Regisseur Victor Bodó: Experimente ohne Grenzen.

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STANDARD: In E. T. A. Hoffmanns Erzählung erhält ein wenig sympathischer Mensch durch eine Fee, die seine Haare kämmt, magische Kräfte. Wird die Frisur dieses Klein Zaches der eines US-Präsidenten ähneln?

Bodó: Dieser Scherz ist bei den Proben natürlich als Möglichkeit aufgekommen. Aber ich denke, so intensiv, wie sich die Öffentlichkeit mit Trump befasst, braucht es diese Anspielung nicht.

STANDARD: Das nun von Péter Kárpáti geschriebene Stück heißt – fast militärisch – "Operation Zinnober". Ist dieser Text schärfer als das Original von E. T. A. Hoffmann?

Bodó: Ja, unsere Adaption hat einen ganz anderen Charakter. Wir lassen das Stück auch nicht Anfang des 19. Jahrhunderts spielen, sondern in einer zeitlosen Welt, in der es aber Bezüge zur Gegenwart gibt. Der Text von Péter Kárpáti fokussiert auf das wesentliche Problem, auf die vielen Wendungen, die zum Aufstieg von Klein Zaches führen. Die Stimmung wird auf unserer Bühne auch anders sein als die märchenhafte bei E. T. A. Hoffmann.

STANDARD: Zaches ist ein rücksichtsloser Aufsteiger. Es geht aber weniger um diesen selbst als um die Menschen rundherum, die das ermöglichen. Ist das bei Ihrer Inszenierung der Fokus?

Bodó: Beides ist wichtig. Einerseits sein Charakter und sein Verhalten, also die Aggression, seine irritierenden Gesten, die Unverschämtheit, wie er an die Macht kommt. Wichtig ist aber eben andererseits auch, unter welchen Bedingungen das gut funktioniert. So etwas gelingt besonders gut in einem System, das aufgeweicht ist, in dem nicht mehr alles zusammenhält und das nicht auf so einen Reingrätscher vorbereitet ist. Wir experimentieren damit, dass es für ihn keine Grenzen gibt.

STANDARD: Die Erzählung zeigt doch die Opportunisten, die ihr eigenes Fortkommen über jedes politische Bewusstsein stellen.

Bodó: Ja, klar. Wir haben dazu bei den Proben auch eine gnadenlose Improvisation gemacht: Ich habe die Schauspieler gebeten, sich an einen Tisch zu setzen, also privat, und sich zu besprechen. Und Gábor Biedermann, der den Zaches spielt, hat als Aufgabe bekommen, sich ganz frech und manierlos zu verhalten. Er sollte herumsticheln und empörende Dinge tun. Wir haben geguckt, wie die Leute reagieren, wann sie reagieren und warum. Die Gesprächsteilnehmer konnten einander beobachten, sodass es wie in einem System war, in dem du dich nicht verraten darfst. Du schaust, was der andere macht, und verhältst dich im Vergleich dazu. Meinungen können da schnell verrutschen. Von der Feigheit des Einzelnen profitiert so ein System.

STANDARD: "Traumdramaturgien" liegen Ihnen besonders, habe ich gelesen. Interessiert Sie die Unschärfe von Bildern?

Bodó: Der Ausdruck "Traumdramaturgie" stammt nicht von mir. Allerdings interessiert es mich, auf einer Bühne Realitäten zu schaffen, die nur das Theater zuwege bringt. Ich suche nach formalen Ideen, die nicht die Wirklichkeit nachahmen wollen, sondern den Teil unseres Lebens zeigen, den wir im Traum sehen. Aber das ist ein Zitat von Tschechow, Kostja sagt das in der Möwe. In der ersten Hälfte meiner Laufbahn habe ich nach Geschichten gesucht, die in einer surrealen oder albtraumhaft verzerrten Welt gespielt haben, zum Beispiel Kafka. Stücke, die mit der Realität operieren, sind mir nicht so gelungen.

STANDARD: Sie mussten Ihre Gruppe, die Szputnyik Shipping Company, ja kleinschrumpfen, da Sie keine Subventionen mehr erhielten. Wie sieht der Rest nun aus?

Bodó: Von Szputnyik ist nur mehr das "Rettungsboot" übrig, eine kleine Gruppe, die theaterpädagogisch tätig ist und vorwiegend an Schulen arbeitet. Den Schauspielern mussten wir sagen, dass wir sie nicht mehr beschäftigen können. Zum Glück haben fast alle eine andere Stelle gefunden.

STANDARD: Sie haben Ihre Karriere am Katona-Theater in Budapest begonnen. Wäre es auch möglich, "Operation Zinnober" heute dort herauszubringen?

Bodó: Ja, am Katona schon. Es gibt Ateliers in Budapest, wo man unbehelligt produzieren kann. Viele Häuser aber wollen bzw. können das nicht ermöglichen.

STANDARD: In den letzten Jahren hat in Ungarn aufgrund der nationalistisch geprägten autokratischen Politik der Regierung eine der größten Auswanderungswellen eingesetzt. Wie beobachten Sie das?

Bodó: Sehr viele Menschen sind davon betroffen. Vor allem sind es gut ausgebildete Menschen, die von ihrem Beruf auch leben wollen. Es sind viele Ärzte und Krankenpfleger. Im Theaterbereich kenne ich weniger, diese Arbeit ist viel sprachgebundener. Ungarn verliert damit viele fähige Menschen, das ist sehr schade.

STANDARD: Sie selbst arbeiten viel im deutschen Sprachraum, also zwischen den Sprachen. Wie hat das Einfluss auf Ihre Arbeit?

Bodó: Ich muss immer sehr genau formulieren, weil ich – obwohl ich schon halbwegs gut Deutsch kann – oft gedolmetscht werde, um nicht missverstanden zu werden. Ich habe beim Sprechen sehr viel dazugelernt. Meine Arbeit hat sich dadurch insofern weiterentwickelt, als sich meine Aufmerksamkeit nun weniger auf die Worte als auf die Gesten auf der Bühne richtet. Das ist für mich ein interessanter Gewinn. Es gibt aber natürlich auch Schwierigkeiten, wenn man die Bühnensprache nicht so gut versteht, klar. Bei Tempofragen etwa.

STANDARD: Klein Zaches ist ein kleines, hässliches Geschöpf. Wie ist das Gnomhafte darstellbar?

Bodó: Die Äußerlichkeiten der Figur sind nicht das Entscheidende. Spannender ist es, das Irritierende schauspielerisch zu erzeugen. (Margarete Affenzeller, 10.2.2017)