Plastikfetzen, der sich in einem Schwamm (Cladorhiza cf. gelida) verfangen hat und mit Anemonen (Amphianthus sp.) besiedelt ist: Das Müllaufkommen in der arktis hat siech in kurzer Zeit vervielfacht.

Foto: Alfred-Wegener-Institut / Melanie Bergmann / OFOS

Bremerhaven – Obwohl rund um den Nordpol der Erde kaum Menschen leben, kämpft die Arktis mit einem zunehmendem Müllproblem. Wie eine Untersuchung von deutschen Wissenschaftern nun zeigte, ist die Verschmutzung an einem Messpunkt in der arktischen Tiefsee innerhalb von zehn Jahren um mehr als das 20-fache gestiegen.

Trotz der Lage fernab von Ballungszentren nimmt die Müllmenge in der arktischen Tiefsee immer weiter zu und stellt somit eine dauerhafte Gefahr für das sensible Ökosystem dar. Seit 2002 dokumentieren Wissenschafter vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), den Müll an zwei Messpunkten im sogenannten AWI-Hausgarten. Dabei handelt es sich um ein Tiefsee-Observatorium, das aus 21 Messstationen in der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen besteht. Die Ergebnisse der Langzeitstudie wurden nun in der Fachzeitschrift "Deep-Sea Research I" veröffentlicht. "Unsere Messreihe belegt, dass der Müll in der arktischen Tiefsee in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat", sagt Erstautorin Mine Tekman.

Müll im Kamerafokus

Die an der Studie beteiligten Forscher haben an den beiden Messpunkten den Meeresgrund in einer Tiefe von 2.500 Metern beobachtet. Seit Beginn der Messung haben sie auf insgesamt 7.058 Fotos 89 Müllteile entdeckt. Dafür nutzten sie das ferngesteuerte Kamera-System OFOS (Ocean Floor Observation System). Da sie mit den Kameras nur ein relativ kleines Gebiet beobachten können, haben die Wissenschafter die Mülldichte auf eine größere Fläche hochgerechnet. So kommen sie in dem Untersuchungszeitraum von 2002 bis 2014 auf einen Durchschnittswert von 3.485 Müllteilen pro Quadratkilometer. Gerade in den letzten Jahren zeigt die Mülldichte allerdings einen deutlichen Aufwärtstrend. Als die Forscher für 2011 eine Verschmutzung von 4.959 Müllteilen pro Quadratkilometer ausgerechnet hatten, hofften sie noch, dass der hohe Wert ein Ausreißer sei. Doch die Mülldichte ist seitdem noch weiter angestiegen und erreichte im Jahr 2014 mit 6.333 Müllstücken pro Quadratkilometer einen neuen Höchstwert.

Besonders dramatisch ist die Situation an der nördlicheren Messstation mit dem Namen N3. "Hier ist die Verschmutzung in den Jahren von 2004 bis 2014 um mehr als das 20-fache gestiegen", sagt Mine Tekman. Betrachtet man nur die Ergebnisse des nördlichen Untersuchungsgebietes in der Eisrandzone, ergab die Messung im Jahr 2004 noch 346 Müllteile pro Quadratkilometer. Zehn Jahre später betrug die Mülldichte 8.082 Teile pro Quadratkilometer. Damit ist die Belastung an dieser Stelle nahezu identisch mit der höchsten jemals gemessenen Mülldichte im östlich der Iberischen Halbinsel gelegenen Cap de Creus Canyon.

Unklare Herkunft des Plastikmülls

Die Forscher konnten unter den fotografierten Müllteilen vor allem Plastik und Glas ausmachen. Glas driftet nicht über größere Distanzen, sondern sinkt sofort an Ort und Stelle auf den Meeresgrund. Die Messreihe zeigt entsprechend, dass die Mülldichte in der arktischen Tiefsee mit der Intensivität der Schifffahrt in der Region zunimmt. Über die genaue Herkunft des Plastikmülls lässt sich dagegen kaum etwas sagen. Denn meist hat das Plastik schon eine weite Reise hinter sich, bevor es den tiefen Meeresgrund erreicht.

Allein mit Fotos können die Wissenschafter in den meisten Fällen nicht den Ursprung bestimmen. Unbestritten ist der Einfluss des Golfstroms auf die Verbreitung von Plastikmüll in der Arktis, der diese Teile aus den südlichen Atlantikregionen in die Framstraße transportiert.

Meereis als Mülltransporter

Allerdings haben die Autoren der Studie auch eine neue Theorie, wie das Plastik dorthin gekommen sein könnte. Ihre Beobachtungen zeigen einen Zusammenhang zwischen der Mülldichte und der Meereis-Ausdehnung im Sommer. "Das Meereis könnte demnach ein Transportmittel für Müll sein und diesen während der Schmelzperiode im untersuchten Gebiet freigeben", sagt Tiefseebiologin Melanie Bergmann, Koautorin der Veröffentlichung. "Bislang haben wir das Gegenteil erwartet, da wir das Eis eher als eine Barriere gegen die Verschmutzung betrachteten." (red, 11.2.2017)