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Gewalttaten, Plünderungen und Straßenbarrikaden: Ein Polizeistreik löste im brasilianischen Vitória eine Gewaltwelle aus.

Foto: AP / Diego Herculano

Vitória/Puebla – "Willkommen im Irak", mit diesen Worten begrüßt ein Taxifahrer ausländische Journalisten am Flughafen von Vitória. Die Fahrt durch die einst malerische Küstenstadt nördlich von Rio de Janeiro führt dann vorbei an brennenden Straßensperren, geschlossenen Geschäften und Schulen und schwer bewaffneten Soldaten. Nahverkehr gibt es nur sehr spärlich und bei Tageslicht. Wenige Menschen wagen sich auf die Straße; meist, um Lebensmittel einzukaufen. "Nachts herrscht Krieg", erläutert ein junger Mann an der Supermarktkasse den Reportern der Nachrichtenagentur efe. "Da sollte man sich besser nicht vor die Türe wagen."

Begonnen hatte es am Samstag mit einem Polizeistreik. Die Angehörigen der Militärpolizei forderten bessere Arbeitsbedingungen und protestierten gegen das Einfrieren ihrer Löhne – eine Maßnahme, die die Regionalregierung mit der aktuellen Haushaltskrise gerechtfertigt hatte.

Weil sie eigentlich kein Streikrecht haben, veranlassten die Militärpolizisten ihre Familien dazu, die Kasernen einzukreisen und zu blockieren. Vor den Kasernen kommt es seither immer wieder zu Spannungen, wenn aufgebrachte Bürger die Rückkehr der Militärpolizisten auf die Straßen fordern und Angehörige sie um Solidarität bitten.

Der Aufstand wuchs sich rasch aus zu kriegsähnlichen Zuständen, nachdem kriminelle Banden die Gelegenheit für Abrechnungen untereinander und für Plünderungen und Überfälle nutzten.

Binnen fünf Tagen wurden dabei den Behörden zufolge 90 Menschen ermordet und hunderte Geschäfte geplündert. Auf Bitten der Regionalregierung entsandte Präsident Michel Temer am Montag 1200 Elitesoldaten, die seither durch die Straßen patrouillieren, aber der Situation nur langsam Herr werden. Geschäftsleute stellten daher private Wachleute ein.

Streik für illegal erklärt

Sowohl Temer als auch der Gouverneur des Bundesstaates, Paulo Hartung, gehören der Mitte-rechts-Partei PMDB an, die voriges Jahr die Amtsenthebung der linken Präsidentin Dilma Rousseff betrieben hatte. Die Partei gilt als Hort der Korruption, zahlreiche ranghohe Politiker stehen deshalb vor Gericht, auch Temers Name taucht in den Ermittlungen zum großen Schmiergeldskandal um den Staatskonzern Petrobras immer wieder auf.

"Brasilien ist ein gescheiterter Staat, unsere Politiker klauen nur und überlassen das Land seinem Schicksal", klagte einer der privaten Wachmänner.

Die Regionalregierung blieb derweil hart gegenüber den Forderungen. Ein Gericht erklärte den Streik für illegal; der Chef der Militärpolizei wurde entlassen. "Wir lassen uns nicht erpressen", erklärte der regionale Sicherheitsminister, André Garcia, dem Sender Record.

Es ist die zweite schwere Sicherheitskrise in diesem Jahr. Vor wenigen Wochen erschütterten Gefängnismeutereien das Land, bei denen es zu Hinrichtungen in den Haftanstalten kam. Dahinter steckte ein Streit der Drogenkartelle um die Kontrolle der Schmuggelrouten im Norden des Landes. Die Bilder von brennenden Gefängniszellen und enthaupteten Insassen führten der Öffentlichkeit drastisch die prekären Zustände vor Augen.

Brasiliens Gefängnisse sind zweifach überbelegt. Präventionsmaßnahmen gibt es nicht. Seit 2004 hat die Zahl der Häftlinge um 85 Prozent zugenommen, 40 Prozent der Insassen sitzen in Untersuchungshaft und sind Übergriffen und Anwerbeversuchen der Banden schutzlos ausgeliefert. (Sandra Weiss, 9.2.2017)