Vier Nächte in Folge brannten etwa in Aulnay-sous-Bois Autos.

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Zum vierten Mal in Folge kam es in Aulnay-sous-Bois und umliegenden Gemeinden in der Nacht auf Mittwoch zu Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei. Der Polizeigewerkschafter Yves Lefebvre erklärte, dass erneut dutzende Autos gebrannt hätten; mehr als zehn Randalierer seien verhaftet worden.

Berufskollege Luc Poignant berichtete von "sporadischen, aber sehr gewalttätigen" Zusammenstößen. So seien ein Kindergarten und ein Autogeschäft in Brand gesteckt worden. Bei einem Anschlag per Molotowcocktail auf einen Bus sei der Chauffeur verletzt worden. "Das Phänomen weitet sich auf benachbarte Gemeinden aus", erklärte Poignant dem TV-Sender LCI.

Auslöser für die nächtelangen Ausschreitungen ist die Polizeikontrolle eines 22-jährigen Anwohners, von dem nur der Vorname Théo bekannt ist. Einer der uniformierten Polizisten soll dem Schwarzen dabei seinen Schlagstock in den After gerammt haben. Im Spital stellten die Ärzte eine zehn Zentimeter lange Risswunde fest. Die Szene wurde von Augenzeugen per Handy gefilmt und ins Internet gestellt. In Aulnay kam es zu Protesten und einer Gegendemonstration. In der Nacht brannten die ersten Autos.

Entsetzte Reaktionen

Von politischer Seite hagelte es empörte bis entsetzte Reaktionen. Selbst Stimmen, die normalerweise die Polizei in Schutz nehmen, äußerten ihre Abscheu. Der konservative Bürgermeister von Aulnay-sous-Bois, Bruno Beschizza, ein früherer Polizeioffizier, erklärte, seine Ex-Kollegen hätten mit dem jungen Mann die ganze Gemeinde "erniedrigt". Ähnlich klang es bei allen anderen Parteien mit Ausnahme von Marine Le Pen, die erklärte: "Ich unterstütze aus Prinzip die Polizei, bis ihr die Justiz ein Delikt nachgewiesen hat."

Premierminister Bernard Cazeneuve ließ die vier Polizisten umgehend vom Dienst suspendieren. Gegen den Haupttäter wurde ein Strafverfahren wegen Vergewaltigung eingeleitet, gegen die drei anderen wegen Gewaltanwendung. Ermittelt wird auch wegen rassistischer Äußerungen, da Théo angab, man habe ihn als "négro" und "bamboula" beschimpft.

Der Anwalt der vier Polizisten erklärte, die Hose des malträtierten Opfers sei von selbst heruntergefallen, der von hinten angesetzte Schlagstock sei wegen der Gegenwehr "unbeabsichtigt" in den Mann eingedrungen. Der bekannte Pariser Anwalt Éric Dupond-Moretti, der die Opferfamilie vertritt, bestreitet diese "Unfallthese" und meinte, Théo hätte nicht einmal ein Festhalten verdient, habe er sich doch nichts zuschulden kommen lassen.

Die französische Öffentlichkeit nimmt nur ungern Kenntnis von den Praktiken der "brigades spécialisées de terrain" (BST), denen die vier Polizisten angehören. Diese kleinen, mobilen Einheiten kämpfen im Nordosten von Paris gegen Drogenbanden. Auch wenn ihre Arbeit sehr schwierig ist, offenbart der Gewalteinsatz, wie wahllos sie offenbar gegen bloße Verdächtige – wenn überhaupt – vorgehen. Théos Anwalt meinte jedenfalls, sein Klient sei bei der Polizei nicht registriert gewesen.

Solidaritätsbesuch

Angesichts dieser offensichtlichen "bavure" – wie in Frankreich polizeiliches Fehlverhalten genannt wird – befürchtet die Regierung nicht zu Unrecht einen neuen Ausbruch von Banlieue-Gewalt. Die Behörden wissen nicht erst seit den Vorfällen von 2005, als im Nordosten von Paris mehr als 10.000 Autos ausbrannten, dass die betroffenen Vorstadtzonen besonders sensibel auf äußere Spannungsmomente reagieren – seien das eine "Black Lives Matter"-Bewegung in den USA, eine neue Nahost-Intifada oder ein Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich.

Staatschef François Hollande reagierte unerwartet prompt und deutlich und stattete Théo am Krankenbett einen Solidaritätsbesuch ab. Wie gewünscht, erließ der junge Mann vor den TV-Kameras einen wohlinszenierten Appell: "Jungs, stoppt den Krieg. Halten wir zusammen. Ich habe Vertrauen in die Justiz."

Hollandes Visite ging allerdings über das politische Kalkül hinaus. In Frankreich bezieht ein Staatschef kaum je so eindeutig Stellung gegen nationale Polizisten und für Banlieue-Bewohner, die in ihren Ghettos sonst von den Behörden schlicht ignoriert werden. (Stefan Brändle aus Paris, 8.2.2017)