Die Innsbrucker Kunst- und Architekturschule Bilding will Kinder und Jugendliche zum kreativen Denken anregen. Das Gebäude ging aus einem studentischen Wettbewerb hervor.

Foto: Günter R. Wett

Vaduz/Wien – "Die Bologna-Reform ist ein angekündigter Unfall mit Fahrerflucht", sagte der Hamburger Universitätspräsident Dieter Lenzen kürzlich im Gespräch mit der deutschen Tageszeitung Die Welt. Seine Kritik: "Die Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge statt des Diploms und Magisters war vor allem ein Zugeständnis an die Briten."

Immer noch sei die Kompatibilität des Studiums in verschiedenen Ländern nicht so reibungslos wie dereinst versprochen. Vor allem aber mangle es durch die Segmentierung des Studiums an Persönlichkeitsbildung. Dieser Umstand hat die Universität Liechtenstein dazu bewogen, die europäische Architekturausbildung nach der 1999 eingeführten Hochschulreform zu untersuchen und in einem Forschungsprojekt über Alternativen zum klassischen Studium nachzudenken.

"Wir haben die Beobachtung gemacht, dass die Bologna-Reform über die Jahre zu einer Homogenisierung der europäischen Architekturausbildung geführt hat", sagt Peter A. Staub, Professor für Architektur an der Universität Liechtenstein in Vaduz. "Das hat eine gewisse Frustration erzeugt. Daher haben wir beschlossen, uns das genauer anzuschauen."

Entstanden ist das für die Dauer von zwei Jahren anberaumte Forschungsprojekt New Schools of Thoughts (NeST), was man am ehesten wohl mit "Schule neu denken" übersetzen könnte. Das 2015 gestartete Projekt wird mit 200.000 Euro vom Forschungsförderungsfonds Liechtenstein finanziert und soll im April vorgestellt werden. Hinzu kommen weitere 250.000 Euro an Eigen- und Drittmitteln. Als Kooperationspartner fungieren die renommierte Architectural Association (AA) in London, die Umeå University School of Architecture in Schweden, die Universität Antwerpen sowie die Universität der bildenden Künste in Wien.

Es fehlt an Lokalkolorit

"Die reformierte Architekturausbildung in Europa umfasst sehr klassische Fächer wie etwa Architekturgeschichte, Konstruktion, Bautechnik und Entwurfslehre", sagt der 39-jährige Projektinitiator Staub. "Doch diese Vereinheitlichung, die den didaktischen Erfolg in ECTS-Punkten misst, hat nicht nur Vorteile. Es fehlt das Lokalkolorit, es fehlt das Reagieren auf aktuelle Tendenzen wie etwa Digitalisierung, Architekturpolitik und neue Bautechnologien, vor allem aber wird die Disziplin sehr klassisch im Sinne einer Auftraggeber-Auftragnehmer-Dienstleistung gelehrt."

Alternative Kooperationsmodelle wie etwa Baugruppen, Bürgerinitiativen und partizipative Entwicklungsmodelle mit Kindern, Jugendlichen, Bürgerinnen und spezifischen Benutzergruppen, die in den vergangenen Jahren immer öfter anzutreffen sind und häufig als Best-Practice-Beispiele zitiert und mit Preisen überhäuft werden, blieben in den Bologna-Richtlinien und EU-Direktiven unberücksichtigt. Und damit, so Staub, habe man es verpasst, auf Trends und innovative Entwicklungen reagieren zu können.

Geht es nach NeST, soll sich das nun ändern. "Wir haben vier alternative Lehrmodelle beziehungsweise innovative Institutionen unter die Lupe genommen und analysiert, was diese anders machen und welche Ideen und Methoden auch auf klassische Hochschulen und Universitäten anwendbar wären", sagt Staub. Die vier ausgewählten und hier beispielhaft untersuchten Exempel sind im Bereich Vorbildung, Ausbildung, Weiterbildung und Fernbildung angesiedelt.

Die Kunst- und Architekturschule Bilding im Innsbrucker Rapoldipark, die aufgrund ihrer außergewöhnlichen Architektur mit dem Österreichischen Bauherrenpreis 2016 ausgezeichnet wurde (siehe Foto), richtet sich an Kinder und Jugendliche von vier bis 19 Jahren und unterstützt sie im kreativen Denken. Der Anspruch macht sich auch in der Gestaltung des Hauses bemerkbar.

Hochschule ohne Professor

Das Confluence Institute for Innovation and Creative Strategies in Architecture in Lyon ist eine private Hochschule, die auf die Initiative der Pariser Architektin Odile Decq zurückgeht. Hier lernen die Studierenden nicht nur Architektur, sondern auch Selbstorganisation, denn die Schule, die derzeit noch nicht zertifiziert ist, kommt ohne Professoren aus. Diese werden – projektbezogen – aus aller Welt eingeflogen.

Beim Aedes Campus in Berlin handelt es sich nicht nur um einen Ausstellungs- und Galerien-Cluster, sondern auch um eine niederschwellige Diskussionsplattform, die sich an Architektinnen und Laien gleichermaßen richtet. Noch lange vor der Ausstellung Blumen für Kim Il Sung im Mak in Wien war Aedes das erste Haus in Europa, das sich diskursiv mit Kunst und Architektur aus dem tabuisierten Nordkorea beschäftigte. Innochain, die letzte der vier Institutionen, ist eine dezentral organisierte Forschungsstätte mit elf Standorten in sechs Ländern.

"Noch können wir keine endgültigen Resultate vorwegnehmen", sagt der Wiener Architekt Wolfgang Tschapeller, der das Forschungsprojekt NeST an der Universität der bildenden Künste mitbetreut. "Nur so viel: Wir haben erkannt, dass es in der Ausbildung wieder mehr Bekenntnis zu Forschung und Experiment geben muss." Vor allem aber zeichnen sich die untersuchten – und sehr positiv evaluierten – Ausbildungsstätten dadurch aus, ergänzt Staub, dass didaktischer Inhalt und Form eine kohärente Einheit bilden. "Diese Schulen leben genau das vor, was sie lehren. Das klingt so selbstverständlich, ist aber eine Seltenheit in Europa."

Prozesse mit Partizipation

Das Neudenken der Architekturausbildung ist kein Einzelfall. An der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn wurde im April 2016 das Institut für Prozessarchitektur (IPA) gegründet. Das interdisziplinäre Programm, das vom deutschen Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung mit 750.000 Euro gefördert wurde und an dem sich etwa auch der österreichische Baukulturverein LandLuft beteiligt, lehrt nicht klassische Architektur, sondern widmet sich dem Prozess und dem Management – mit einem Schwerpunkt auf Bürgerbeteiligung und Partizipation.

In Wien arbeitet das Architekturbüro nonconform, das sich einen Namen im Bereich Partizipation und etwas unorthodoxer Vor-Ort-Planung mit Bürgerinnen und Bürgern machte, an einer nonconform akademie, an der die Erkenntnisse und Erfahrungen aus zehn Jahren Bürgerbeteiligungsarbeit vermittelt werden sollen. Das Projekt wird von der Wirtschaftsagentur Wien mit 70.000 Euro gefördert. Das Going-public ist für nächstes Jahr anvisiert. (Wojciech Czaja, 12.2.2017)