Kreativität und individuelle Förderung statt Druck und starre Bewertung: für viele die ideale Schule.

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Zeigen, wie es gehen kann: Pädagoge Karjalainen-Dräger.

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Montag, acht Uhr, der Wecker im Kinderzimmer läutet. Ausgeruht klettert das neunjährige Mädchen aus seinem Bett. Nach dem Frühstück verlässt es ohne Hektik das Haus, mit dem Fahrrad braucht es zehn Minuten zur Schule. Es ist eine kleine Schule, nur 30 Kinder, zwei Klassen. Um halb zehn beginnt der Unterricht in hellen Räumen.

In altersgemischten Kleingruppen erarbeiten Kinder zwischen neun und 15 Jahren mit zwei Begleitern die Lerninhalte des heutigen Vormittags. Einige präsentieren den erlernten Unterrichtsstoff in Form eines kleinen improvisierten Theaterstücks, andere haben einen Kurzfilm gedreht.

Ab 13 Uhr gibt es den Mittagstisch, es wird gegessen, gelacht, geplaudert. Danach geht es in den Garten. Die Nachmittagseinheit dauert bis 17 Uhr, inklusive Hausübung. Ziffernnoten gibt es in dieser Schule nicht.

So oder so ähnlich stellen sich viele Kinder, Eltern und Lehrer die ideale Schule vor: mit individueller Förderung, auf Interessen und Begabungen der Kinder abgestimmt, in wertschätzender Umgebung. Doch so gestaltet sich die Realität in nur wenigen Schulen. Viele verbinden mit Schule eher Stress in der Früh, Notendruck, starre Lehrpläne und Leistungsbeurteilung, kaum Wertschätzung und wenig Individualisierung.

Starres System

Nicht alle wollen sich damit abfinden. Der Pädagoge, sechsfache (Patchwork-)Vater und Lehrer Michael Karjalainen-Dräger zum Beispiel. Er hat lange als Freizeitpädagoge gearbeitet und wechselte als 30-Jähriger an öffentliche Volks- und Hauptschulen in Wien, um dort Lehrer zu sein. Er blieb zehn Jahre. Oder, wie er es formuliert: "Ich habe es zehn Jahre ausgehalten."

Dann war die Ernüchterung über enge Spielräume und begrenzte Möglichkeiten zu groß. "Es ist nicht lustig, in so einem starren System Lehrer zu sein." Also tat er, was sich wenige trauen: Er gründete eine eigene Schule. Eine, die all die Ansprüche erfüllte, die er an kindzentrierte Bildung stellte: kleine, altersgemischte Gruppen, individuelle Förderung, kreativer Unterricht und Beginnzeiten, die die Kinder nicht im Wachkoma mit leerem Magen ins Klassenzimmer wanken lassen.

Einfach war es nicht. Aber Karjalainen war von seiner Idee überzeugt – und konnte andere überzeugen. "Ich habe mich erkundigt, was es braucht, um als Privater eine Schule zu gründen, und wurde bald kafkaesk im Kreis geschickt." Nicht nur einmal stand das Projekt auf der Kippe, weil plötzlich neue Auflagen dazukamen. Die Amtswege hat er irgendwann nicht mehr gezählt. "Schnell war das Gefühl da: Gerne sehen es Behörden nicht, wenn Privatpersonen Schulen gründen. Die öffentliche Schule hat Angst, dass ihr die Kinder davonlaufen, und das Imperium schlägt zurück."

Das sieht man im Bildungsministerium anders: "Wir sehen Privatschulen als positive Ergänzung des österreichischen Schulsystems, nicht zuletzt erhalten sie deshalb auch eine Fördersumme von 4,5 Millionen Euro pro Jahr." Allerdings geht dieses Geld vor allem an konfessionelle Privatschulen. Für Schulen ohne Religionsgemeinschaft im Rücken gibt es wenig Unterstützung, sagt Karjalainen. Es gebe nur eine Umwegfinanzierung von 700 Euro pro Schüler und Schuljahr, wenn sich die Privatschule einem Dachverband Freier Schulen anschließt.

Zwei Jahre bis zur Eröffnung

Laut OECD kostet ein Schuljahr pro Kind aber zwischen 8000 und 12.000 Euro. Konfessionelle Privatschulen, die die deutliche Mehrheit der 721 Privatschulen in Österreich stellen, sind im Vorteil: Ihr Lehrpersonal bezahlt zur Gänze der Steuerzahler. "Die Lehrergehälter machen 75 bis 80 Prozent der Kosten aus", sagt Karjalainen. Nichtkonfessionelle Schulen müssen das selbst berappen.

In seinem Fall hat es ein Jahr gedauert, bis er alle Informationen zur Schulgründung beisammenhatte und wusste, wer auf Behördenseite wofür zuständig ist. Man sollte von der Idee bis zur Eröffnung der Schule zwei Jahre einplanen, sagt er. Bei ihm war es im Herbst 2009 so weit: die "Lernwerkstatt Baden" für 20 Kinder öffnete ihre Pforten. Die Kinder konnten die gesamte Pflichtschulzeit dort absolvieren, unterrichtet wurde in altersgemischten Klassen mit maximal fünf Kindern pro Gruppe.

Den Vorwurf gegen "elitäre Privatschulen", in denen Kinder aus "besseren Kreisen" unter sich blieben, kennt auch er. Und lässt ihn nicht gelten: "Durch eine Schulgründung spart die öffentliche Hand Kosten, die sie nicht weitergibt. Gleichzeitig bekommt man als Gründer den Vorwurf, elitär zu sein." Um Kinder aus allen sozialen Schichten in die Privatschule zu bekommen, tritt er für einkommensabhängiges Schulgeld und Patenschaften ein.

Stolpersteine

Apropos Schulgeld: Ohne das lässt sich der laufende Betrieb kaum finanzieren. Sponsoring sei in der nötigen Größenordnung schwierig, Crowdfunding wenig aussichtsreich. "Meiner Erfahrung nach liegt die Schmerzgrenze bei 300 Euro Schulgeld im Monat für ein Halbtagsangebot", sagt Karjalainen. Ist die Finanzierung geklärt, muss der richtige Raum her: Da hat jedes Bundesland andere Vorgaben – und derer gibt es viele, von der Gangbreite bis zum Fensterglas. Karjalainen rät, die Schulräume vorab behördlich prüfen zu lassen. Sie werden sonst leicht zum Stolperstein.

Gründer müssen sich entscheiden, ob ihre Schule über Öffentlichkeitsrecht verfügen soll oder nicht. Tut sie es, darf sie die Leistungen der Kinder beurteilen und Zeugnisse ausstellen. Die Schüler können dann relativ leicht ins Regelschulsystem wechseln.

Das ist bei Schulen ohne Öffentlichkeitsrecht schwieriger: Deren Schüler sind zum häuslichen Unterricht abgemeldet und müssen am Ende jedes Schuljahres eine Externistenprüfung an einer Regelschule bestehen. Andernfalls dürfen sie nicht länger die Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht besuchen.

Flexible Ferienzeiten

Alle Privatschulen brauchen ein behördlich genehmigtes Statut und einen vom Ministerium abgesegneten Lehrplan. Zeitlich lässt sich in der eigenen Schule vieles flexibel gestalten. So ist etwa nicht vorgegeben, wie lange die Einheiten dauern oder wann Ferien sind. Das Lehrpersonal an Schulen mit Öffentlichkeitsrecht muss mit den Behörden abgestimmt werden: Ihnen ist wichtig, dass es geprüfte Lehrer sind. "Die Gründung einer Privatschule muss natürlich nach einem bestimmten Muster ablaufen", heißt es aus dem Bildungsministerium. "Um garantieren zu können, dass alle notwendigen Regelungen, die im Privatschulgesetz verankert sind, getroffen wurden."

Karjalainen ortet bei den Lehrern aber einen Graubereich: Schulleiter müssen zwar immer geprüfte Lehrerinnen oder Lehrer sein, in Schulen ohne Öffentlichkeitsrecht kann aber im Prinzip jeder unterrichten. "Als Schulerhalter könnte ich im Statut etwa festlegen, dass bei mir nur Psychotherapeuten unterrichten sollen."

Natürlich sei es eine Kränkung fürs Regelschulsystem, wenn Privatschulen wie Pilze aus dem Boden schießen, sagt er. Dabei könne es viel lernen von Schulen, hinter denen engagierte Menschen mit pädagogischen Visionen stehen. Von staatlichem Interesse habe er bisher aber nicht viel bemerkt: "Ich kenne keinen Fall, wo jemand von den Behörden auf uns zugekommen wäre und nachgeschaut hätte, was gut funktioniert." (Lisa Mayr, 4.2.2017)