STANDARD: SPÖ und ÖVP bekennen sich dazu, Migration massiv zu reduzieren: Sachleistungen, Ausbau der Grenzkontrollen und Rückkehrquartiere. Ist das Wiens Weg?

Czernohorszky: Was nicht der Wiener Weg und nicht mein Weg ist: nur Symbole zu setzen. Wir haben viele martialische Sprüche gehört, um die Zahl an Zuwanderern einzudämmen. Wir haben aber kaum Maßnahmen gesehen, um etwa Asylverfahren zu beschleunigen. Das ist die zentrale Forderung an den Innenminister. Das ist ein irres Integrationshemmnis. Es muss aber auch das Durchsetzen negativer Bescheide schneller gehen.

STANDARD: Also soll es auch schnellere Abschiebungen geben?

Czernohorszky: Wenn ein Staat diese Entscheidung trifft, muss er sie durchsetzen.

STANDARD: Der Bund plant einen Integrationsvertrag, Deutsch- und Wertekurse sollen ausgebaut werden. Werden sie nicht in Anspruch genommen, werden Sozialleistungen gekürzt. Wie stehen Sie dazu?

Czernohorszky: Das Integrationsjahr bedeutet vor allem, dass sich der Bund endlich zu Integration von Anfang an bekennt. Die damit verbundenen Verpflichtungen und Sanktionen folgen der AMS-Logik. Daher ist es in Ordnung. Insgesamt braucht es kein "Starker Mann"-Gehabe, sondern konkrete Maßnahmen.

Integrations- und Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky will keine "Almosen oder Ein-Euro-Jobs", wenn es um die verpflichtende gemeinnützige Arbeit von Asylwerbern geht.
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STANDARD: Im Integrationsjahr sollen Asylwerber verpflichtend gemeinnützige Tätigkeiten mit minimaler Aufwandsentschädigung absolvieren ...

Czernohorszky: Almosen oder Ein-Euro-Jobs wird es in Wien nicht geben, aber gemeinnützige Tätigkeit macht schon Sinn. Im Schulbereich etwa haben wir schon 40 Asylwerber mit pädagogischem Background in Schulen eingesetzt.

STANDARD: Wie sollen aber tausende dieser Jobs ermöglicht werden?

Czernohorszky: Ob Asylwerber oder ältere Arbeitnehmer – ein Staat sollte es sich auf jeden Fall leisten können, für sinnvolle Beschäftigung zu sorgen.

STANDARD: Wie viel Geld ist für den Ausbau der Deutschkurse nötig? Vor einem Jahr beklagte Ihre Vorgängerin Sandra Frauenberger, dass Wien 25 Millionen Euro für Deutschkurse fehlen.

Czernohorszky: Wir haben in Wien nicht gewartet und massiv ausgebaut. Im Kindergarten ist die Zahl der Sprachförderlehrer verdoppelt worden. In den Schulen, und da mit großer Unterstützung der Bildungsministerin, haben wir von 198 Lehrern auf 350 ausgebaut. Gerade im Zusammenhang mit Flüchtlingen ist es Wiener Schicksal, dass wir in Vorlage treten müssen. Mit dem Integrationsjahr liegt zum ersten Mal ein strukturierter Plan des Bundes am Tisch.

STANDARD: Vergangenes Jahr wurde eine Studie über islamische Kindergärten präsentiert. Autor Ednan Aslan urteilte: "Intellektuelle Salafisten und politische Islamisten sind die dominierenden Gruppen in der islamischen Kindergartenszene in Wien." Gilt das noch?

Czernohorszky: Die Studie muss im Inhalt selbstverständlich beunruhigen. Die Aussagekraft ist aber aufgrund der Kürze zu bezweifeln. Wir haben daher mit einem Expertenteam – da sind auch Aslan und der Bund dabei – eine intensivere Studie beauftragt. Die ist im Gang.

STANDARD: Nach der Präsentation der Studie wurden von der Stadt stärkere Kontrollen angekündigt. Ist das passiert?

Czernohorszky: Natürlich. Warnhinweise, und das war diese Studie, nehmen wir ernst. Bei der Qualitätssicherung wurde seither einiges getan: Die Mindestdauer für die Ausbildung von Kindergruppenpädagogen wurde etwa von 90 auf 400 Stunden angehoben. Natürlich werden Kindergartenbetreiber, bevor sie überhaupt starten können, mit dem Amt für Verfassungsschutz abgeglichen. Selbstverständlich wird das pädagogische Konzept überprüft. Das bedeutet auch, dass man kontrollieren muss. Da werden derzeit um die 3.200 Kontrollen pro Jahr gemacht.

Am Mittwoch besuchte der Neo-Bildungsstadtrat einen Kindergarten in Wien-Penzing. Er will sich weiterhin für die gemeinsame Schule einsetzen und dafür, "Mauern am Bildungsweg niederzureißen".
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STANDARD: Im Vorjahr wurden Fördergeldmissbräuche bei den Alt-Wien-Kindergärten aufgedeckt. Zuletzt wurden die Multika-Kindergärten insolvent. Sind die Kontrollen der Stadt zu lasch?

Czernohorszky: Ich kann nicht versprechen, dass wir keine schwarzen Schafe mehr finden. Das Ziel ist es ja genau, Missbrauch aufzudecken, und zwar lückenlos. Noch wichtiger ist aber, dass wir noch genauer darauf schauen, dass es gar nicht so weit kommt.

STANDARD: Wird die Stadt Fördergelder zurückfordern, wie die MA 10 in Aussicht gestellt hat?

Czernohorszky: Selbstverständlich fordern wir jedes missbräuchlich verwendete Geld zurück.

STANDARD: Laut eine Studie, die im Herbst veröffentlicht wurde, sind 27 Prozent der Jugendlichen in der offenen Jugendarbeit latent radikalisierungsgefährdet. Welche Konsequenzen hat Wien gezogen?

Czernohorszky: In dieser Gruppe ist die Zahl der Jugendlichen, die gefährdet sind, groß. Das ist ein Warnsignal. So, wie es ein Warnsignal ist, wenn nur in einer Klasse ein Kind zum Radikalen wird. Man muss wachsam und konsequent bei jedem Fanatiker sein – egal ob er die Fahne des IS oder der Identitären schwenkt. Wir müssen mit den Jugendlichen arbeiten, aber auch Eltern und Experten beiziehen. Und, wenn wir von einem radikalen Jugendlichen sprechen, auch die Polizei.

STANDARD: Warum fehlen noch immer die im November 2015 angekündigten 100 zusätzlichen Schulsozialarbeiter?

Czernohorszky: Wir nehmen das Integrationspaket des Bildungsministeriums als große Unterstützung wahr. Ein Teil des Pakets ist, dass Mitte November 40 Sozialarbeiter zur Verfügung gestellt wurden. Demnächst wird auch das Wiener Pendant da sein.

STANDARD: Bis wann genau?

Czernohorszky: Das Ziel ist, in diesem Schuljahr.

STANDARD: Sollen die 100 Personen heuer noch zu arbeiten beginnen?

Czernohorszky: Nein. Es ist eine Sache, das System herzustellen und Finanzen zu sichern. Es geht aber auch darum, geeignete Leute zu finden.

STANDARD: Also kommen in diesem Jahr keine 100 Sozialarbeiter?

Czernohorszky: Es ist ein Regierungsplan für die ganze Periode. Aber ich verstehe die Lehrer, wenn sie ungeduldig sind. Es wird sich schrittweise füllen.

STANDARD: Sie wollen die gemeinsame Schule in ganz Wien. Der Bund sieht das nicht vor: Nur 15 Prozent sind als Modellregion möglich. Was wird in Wien passieren?

Czernohorszky: Ich werde immer fordern, dass die zentrale Bildungsentscheidung nicht mit neuneinhalb Jahren getroffen werden muss. Unabhängig davon werden wir in Wien weiter daran arbeiten, Mauern am Bildungsweg niederzureißen. Das ist durch die neuen Campusmodelle umgesetzt. Wir wollen auch bestehende Standorte zu Bildungsgrätzeln weiterentwickeln.

Aktuell befürchtet Czernohorszky keinen Lehrermangel, sieht aber eine Herausforderung durch die Pensionierungswelle.
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STANDARD: In Wien werden in den nächsten zehn Jahren im Pflichtschulbereich 5.000 Lehrer pensioniert. Droht ein Lehrermangel?

Czernohorszky: Wir sprechen von keinem aktuellen Mangel. Die Stadt wächst, und wir brauchen permanent neue Pädagogen. Dazu kommen die Pensionierungswelle und die neue Lehrerausbildung, die ein Jahr länger dauert – es gibt also in Zukunft eine größere Herausforderung. Das bedeutet für uns, wir werden noch kreativer sein müssen.

STANDARD: Ist das eine Jobgarantie für Lehrer in Wien?

Czernohorszky: Eine Garantie, dass der Beruf eine stärkere Nachfrage haben wird, kann man geben. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 1.2.2017)