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Der weltweite Güterhandel hat den Wohlstand für viele vergrößert. Nun nimmt das Tempo im Güteraustausch ab. Vermehrt machen sich potenzielle Arbeitskräfte auf den Weg.

Foto: AP/Jan Tyska

Das Tempo der Globalisierung hat sich eingebremst. Zumindest was den Güterhandel betrifft. Die Globalisierung verschiebt sich laut dem Handelsexperten Rolf Langhammer vom Güter- zum Dienstleistungshandel, vom Kapitalverkehr zur Arbeitskräftewanderung. Die Widerstände gegen letztere seien sowohl in der Bevölkerung als auch in der Politik erheblich. Die Migration könne aber ohnehin eine Hinwendung zur Binnenwirtschaft erzwingen – mit langsameren Wachstum, aber durchaus positiven Folgen.

STANDARD: Die Globalisierung ist gewissermaßen eine Erfindung der USA. Jetzt scheint ihr ein Amerikaner entschlossen entgegenzutreten. Was können die Europäer tun?

Langhammer: Wir können nur abwarten, ob sich konkrete Maßnahmen gegen Europa richten. Solange das nicht der Fall ist, können wir versuchen, uns zusammenzuschließen und immer wieder darauf zu pochen, dass diese Maßnahmen nach einem Strohfeuer zu erheblichen Kosten gerade für die amerikanische Wirtschaft und die Verbraucher führen werden.

STANDARD: Donald Trump kündigte recht flott die Transpazifische Partnerschaft TPP auf. Obama verhandelte das Abkommen an China vorbei mit elf Staaten. Könnte TPP jetzt ohne die USA realisiert werden?

Langhammer: TPP hat China explizit ausgeschlossen. Sicher mit dem Hintergedanken, dass China bei Erfolg nichts anderes übrigbleibt, als beizutreten. Trump will wohl mit den elf Staaten bilateral verhandeln. Da kann er seine überlegene Verhandlungsmacht ausspielen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die elf TPP weiterführen. Die Schwerpunkte des Programms spiegelten eindeutig amerikanische Interessen wider. China steht mittlerweile mit alternativen Vorschlägen bereit. Die sogenannte Regional Comprehensive Economic Partnership RCEP bezieht auch Indien mit ein.

STANDARD: Robert Lighthizer, Chef-Unterhändler für die USA arbeitete schon unter Ronald Reagan im Handelsministerium. Was ist von ihm zu erwarten?

Langhammer: Er teilt zusammen mit seinem Berater Peter Navarro und Wirtschaftsminister Wilbur Ross die Sicht Trumps, dass Länder, die hohe Handelsbilanzüberschüsse mit den USA fahren, diese nur aufgrund von unfairer Wirtschaftspolitik erreicht haben. Ökonomen halten das für Unsinn, ich auch. Der große Überschuss mancher Länder im Handel mit den USA ist teilweise auch der Funktion der USA als Verantwortliche für eine Leitwährung geschuldet. Deswegen hat die Welt sehr viel mehr Dollar gehalten und das Geld sozusagen den Amerikanern zur Verfügung gestellt.

STANDARD: Trump und seine Berater gehen von einem Schaden aus.

Langhammer: Das ist im Grunde nicht nachweisbar. Ein Großteil der amerikanischen Importe besteht auch aus Vorleistungen. Wenn Deutschland etwas exportiert, bestehen über 40 Prozent dieser Exporte aus importierten Vorleistungen. Gerade Länder wie Deutschland oder Österreich sind sehr stark in internationale Lieferketten verflochten.

STANDARD: Wie ernst ist Trumps Drohung mit Strafzöllen Richtung Mexiko zu nehmen?

Langhammer: Das amerikanische Handelsgesetz gibt dem Präsidenten in dieser Hinsicht sehr viel Kompetenz – am Kongress vorbei. Er kann, wenn sein Handelsbeauftragter ihm sagt, dass das Handelsbilanzdefizit mit einem Land auf unfairen Praktiken beruht, Strafzölle erheben. Würde er bestimmte Unternehmen bestrafen, würde das nicht nur vor der Schlichtungsinstanz der WTO, sondern auch vor amerikanischen Gerichten scheitern. Aber er könnte Produkte so definieren, dass sie auf bestimmte Unternehmen passen, und Getriebe für bestimmte Kleinwagen, die von BWM oder jemand anderem produziert werden, mit einem Zoll belegen. Dagegen kann geklagt werden, sowohl im Rahmen von Nafta oder bei der WTO. Aber solche Streitschlichtungsverfahren dauern sehr lange. Der Schaden ist erst einmal da.

STANDARD: In welchem Zeithorizont müssen wir da denken?

Langhammer: Die Streitschlichtungsverfahren der WTO dauern manchmal Jahre. Auch die Nafta hat sehr lange Verfahren. Trump kann also sofort handeln. Den gesamten Nafta-Vertrag kann er mit einer Frist von sechs Monaten kündigen. Er kann drohen, er kann verlangen, dass neu verhandelt wird. Bis alle juristischen oder Streitschlichtungsinstanzen sozusagen durchwandert worden sind, wird es sicherlich mehr als ein Jahr dauern.

STANDARD: Bis dahin herrscht wohl Unsicherheit unter Investoren und Firmen.

Langhammer: Trump setzt genau darauf, dass die Unternehmen sagen, wir produzieren jetzt einmal mehr in den USA. Aber die Unternehmen sind nicht dumm und kuschen natürlich nur vordergründig. Sie wissen ganz genau, dass sie nicht mehr wettbewerbsfähig wären, wenn größere Wertschöpfungsprozentsätze in Amerika stattfinden müssten. Das werden sie ihm auch klarmachen und dafür wollen sie eine Kompensation. Die könnte im großen Steuersenkungsprogramm bestehen. Sie könnten aber auch sagen, gib uns doch Subventionen – etwa Exportsubventionen, die illegal sind. Wir wären dann wieder beim uralten Streit, etwa zwischen Boeing und Airbus. Auch da geht es darum, ob die Regierungen verstärkte Exportsubventionen geben oder nicht. Aber auch bis das geklärt wird, dauert es.

STANDARD: Eine Abwärtsspirale wäre wohl denkbar.

Langhammer: Natürlich. Das könnte zu Vergeltungsmaßnahmen führen. Falls Europa getroffen würde, könnte Europa sagen, im Grunde genommen wollen wir nicht so gerne mit China verhandeln, aber China winkt schon seit vielen Jahren – das sind richtige Sirenenklänge – mit einem Freihandelsabkommen. Es gibt zurzeit Verhandlungen über eine Vorstufe, ein bilaterales Investitionsschutzabkommen. Das möchten die Chinesen gerne in Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen umwandeln. Europa könnte also genötigt sein, sich stärker von den transatlantischen Beziehungen abzuwenden und Richtung Pazifik oder Richtung Ostasien zu schauen.

STANDARD: Stichwort transatlantische Beziehungen: Was das Transatlantik-Abkommen TTIP betrifft, so wird das nun wohl nichts mehr werden?

Langhammer: Sicherlich jetzt nicht mehr auf diesem Niveau. Von europäischer Seite wird man jetzt niedrigschwellig tätig werden. Nicht nur weil wir in Europa dieses Jahr überall Wahlen haben, sondern auch weil man sagt, mit diesem Mann kann man so jetzt nicht verhandeln.

STANDARD: Spielt das auch manchen Ländern Europas in die Hände? Der neue protektionistische Wind weht ja auch hier.

Langhammer: Selbstverständlich. Gerade in Deutschland und Österreich. Würde man TTIP jetzt weiter vorantreiben, würde man sich in ein Boot mit Trump setzen. Das wäre für die Politiker sicher nicht die angenehmste Variante.

STANDARD: Wie werden wir die protektionistischen Züge spüren?

Langhammer: Wir sehen seit einiger Zeit ein Abklingen des Globalisierungstempos. 2016 ist die Weltproduktion erstmalig schneller gestiegen als der Welthandel. Ich glaube aber, dass wir Globalisierung, da wo sie intensiv ist, nämlich im Handel mit Dienstleistungen, nicht korrekt messen. Die Globalisierung verschiebt sich vom Güter- zum Dienstleistungshandel, vom Kapitalverkehr zur Arbeitskräftewanderung. Migration nimmt zu. Wenn man sich das alles vor Augen führt, muss man sagen, da sind erheblich größere Widerstände in der Bevölkerung, auch in der Politik.

Auch bei Dienstleistungen. Denken Sie an die audiovisuellen Dienstleistungen in Frankreich. Man sagt dort, man wolle nicht, dass französisches Fernsehen durch amerikanische Soaps überflutet wird. Überall gibt es bei Dienstleistungen mehr Widerstände gegen Marktöffnung als beim Güterhandel. Und bei der Migration ist das erst recht der Fall. Dieses Element der Globalisierung weckt besonders viel Widerstand, weil Fremdenangst in vielen Ländern noch sehr virulent ist.

STANDARD: Es ist also nicht nur ein rein zyklisches Phänomen, dass die Globalisierung an Tempo verliert?

Langhammer: Ich denke, dass es eher strukturelle längerfristige Faktoren gibt, die das Tempo in den nächsten Jahren zurücksetzen. Nehmen Sie Deutschland: Wir müssen über eine Million zu uns gekommene Menschen integrieren. Das ist eine binnenwirtschaftlich orientierte Aufgabe. Wir brauchen Lehrer, Ausbildner, vielleicht mehr Polizisten, mehr Verwaltungskräfte. Deswegen werden viele Länder, möglicherweise auch Österreich, sich in den nächsten Jahren mehr binnenwirtschaftlich als weltwirtschaftlich ausrichten. Das sind Dinge, die unsere Wirtschaft verändern.

STANDARD: Und das Wachstum?

Langhammer: Binnenwirtschaft hat nicht die Produktivitätspotenziale, die die Exportwirtschaft hat. Wir werden also langsamer wachsen als im längerfristigen Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte. Das kann durchaus nachhaltig und positiv sein. Wir stoßen ja auch an Probleme der Nachhaltigkeit, sowohl der Nachhaltigkeit an Schulden, wir haben einen historisch hohen Schuldenstand in der Welt, den müssen wir irgendwie bewältigen und wir haben auch Nachhaltigkeitsprobleme im Faktor Umwelt. (Regina Bruckner, 2.2.2017)