Wien – An der Schwelle zu den 1970er-Jahren, als buchstäblich alles möglich schien, schlug in der britischen Rockmusik die Stunde der singenden Bassspieler. John Wetton stammte aus Derby. In einer Phase, als im Progressive Rock jeder jeden zu kennen schien, machte er als gefragter Studiocrack auf sich aufmerksam. Schlagartig bekannt wurde er, als er bei der Band Family anheuerte, wo er mit seinen Vokalbeiträgen neben einer Schmetterstimme wie derjenigen Roger Chapmans glänzend bestehen konnte.
Robert Fripp holte ihn 1972 zu King Crimson. Dort wurde Wettons Liedgesang zur Insel des Wohllauts. Gespeist war diese "weiße" Vokalkunst aus der Tradition des Canterbury-Folk. Über Fripps ohrenbetäubenden Gitarrenriffs erhob sich die mächtige Stimme Wettons wie eine Instanz des Trostes und der Mäßigung. Wetton war zum wichtigsten Prog-Bassisten neben Greg Lake und Chris Squire aufgestiegen.
Wettons Karriere seit den späten 1970ern spiegelte den Gezeitenwechsel in der Musikkultur des Rock wider. Mit der Band UK spielte er zwei makellose Alben voller ebenmäßiger Songs und ungerader Metren ein, die im aufkommenden Punk schmählich untergingen. Wetton jobbte bei der Twin-Gitarrenband Wishbone Ash und bei Uriah Heep, half aber auch bei Alben von Bryan Ferry oder Brian Eno aus.
Ära der Schulterpolster
Mit der Band Asia begann die Ära der Schulterpolster und des unmäßigen Bombasts. Es schien, als ob sich die plötzlich geschmähten Helden der Prog-Ära wenigstens mit ihren Verkaufszahlen am Business schadlos halten wollten. Wetton verzettelte sich in zahlreichen Projekten, Schwierigkeiten mit dem Alkohol verhalfen ihm nicht eben zu Konstanz. Über allen Einwänden aber bleibt seine herrliche Stimme für alle Zeit bestehen: der baritonale Wehmutsgesang aus Starless, der vielleicht betörendsten aller King-Crimson-Nummern, in der die Melancholie erst gepäppelt und schließlich unter den Modulationen von Fripps Gitarre furios begraben wird.
Jetzt ist John Wetton, der zudem an Herzproblemen litt, 67-jährig einem Krebsleiden erlegen. (Ronald Pohl, 1.2.2017)