STANDARD: Die Zukunft soll von Elektromobilität geprägt sein. Welche Rolle spielen Kunststoffe in diesem Bereich?

Kern: Die Kunststoffe sieht man oft nicht auf den ersten Blick, obwohl sie überall vorhanden sind. Es können Klebeharze sein, die hohen Anforderungen standhalten, oder Strukturwerkstoffe, die Fahrzeugakkus einkapseln und Bränden bei Unfällen vorbeugen. Natürlich ist Leichtbau im Automobilbereich wichtig. Dabei geht es nicht nur um Strukturbauteile, sondern etwa auch um Innenraumkomponenten, die anspruchsvolles Design bieten und es mit eingebetteter Elektronik verbinden.

STANDARD: Welche Anforderungen kommen auf die Kunststoffe zu?

Kern: Je nach Einsatz ist thermische Isolation oder rasche Ableitung von Wärme wichtig. Bei Strukturbauteilen geht es um das mechanische Verhalten. Man untersucht etwa, durch welche Einwirkungen Risse entstehen und wachsen. Modellierung und Simulation sind wichtige Instrumente, um Voraussagen zu treffen, wie lange ein Bauteil im Einsatz bleiben kann. Man kombiniert physikalische Modelle mit experimentellen Untersuchungen, um langwierige Ermüdungsprüfungen zu ersetzen.

STANDARD: Die Werkstoffchemie bemüht sich um Kunststoffe, die auf äußere Einflüsse reagieren.

Kern: Selbstheilende Kunststoffe sind en vogue. Eine Rissbildung soll sich dabei selbst rückgängig machen. Es gibt erste Ansätze bei Beschichtungen. Früher sollten diese möglichst hart sein, jetzt ist ein Paradigmenwechsel zu beobachten. Wenn das Material weich ist, ist es zwar anfälliger für Beschädigungen, eröffnet aber die Möglichkeit der Selbstheilung über molekulare Beweglichkeit. Es gibt mehrere Ansätze, von eingebetteten Kapseln mit Flüssigkomponenten, die aufbrechen und Risse verschließen, bis zu von UV-Licht ausgelösten Selbstheilungsreaktionen. Die Forschung steht aber noch am Anfang.

STANDARD: In Sachen Ökologie haben Kunststoffe kein gutes Image. Wie kann man dem begegnen?

Kern: Kunststoffe sind insgesamt energieeffizient. Die Energie, die man zu ihrer Verarbeitung aufwenden muss, ist wesentlich geringer als jene bei Metallen. Ein Problem gibt es mit Verpackungen. Dass Meere mit Kunststoffabfällen verschmutzt sind, ist aber nicht die Schuld des Werkstoffs. In vielen Ländern gibt es kein vernünftiges Recyclingsystem und kein entsprechendes Bewusstsein. Würden wir Kunststoffverpackungen wieder durch Pendants aus Metall oder Glas ersetzen, hätten wir ein Zusatzgewicht, das beim Transport mehr Energie erforderlich macht.

STANDARD: Ein Trend geht dahin, Kunststoffe als sogenannte Bio-Plastics ökologischer zu machen.

Kern: Heute beruht erst ein kleiner Anteil von Materialien auf solchen Ansätzen. Einerseits werden Kunststoffe als Biopolymere bezeichnet, die auf biogenen, nicht petrochemischen Ausgangsstoffen beruhen. Andererseits werden auch Varianten, die kurze biologische Abbauzeiten aufweisen, so bezeichnet. Das wird leider nicht klar unterschieden. Es ist auf alle Fälle sinnvoll, in gewissen Bereichen auf die petrochemischen Ausgangsstoffe zu verzichten und zu sehen, was aus der Natur gewonnen werden kann.

STANDARD: Unterliegt der Umgang mit Kunststoffen einem Bedeutungswandel?

Kern: Seit der Frühzeit, als sie nur preisgünstiges Ersatzmaterial für andere Werkstoffe waren, haben sich Kunststoffe bis heute zu Hochleistungsmaterialien weiterentwickelt. Durch die Flexibilität der organischen Chemie und die Möglichkeit, Polymere mit Füllstoffen und Additiven in ihren Eigenschaften zu erweitern, eröffnet sich aber ein enormes Spektrum. In manchen Bereichen fokussiert man wieder stärker auf einfachere Grundstoffe, damit der Materialmix nicht zu groß wird. Je mehr Einzelkomponenten ein Kompositmaterial beinhaltet, desto schwieriger ist auch die stoffliche Wiederverwertung. (Alois Pumhösel, 3.2.2017)