Die Krise wurde laut Sozialbericht nicht zur Katastrophe. Die Durchschnittslöhne sinken wegen vieler neuer Teilzeitjobs.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Wien – Massenarbeitslosigkeit, Hungerlöhne, Armut: Wer nach einer Erklärung für den Erfolg von Rechtspopulisten sucht, landet schnell bei den Folgen der Krise. Doch hat der Wirtschaftseinbruch von 2008 Österreich tatsächlich in eine soziale Misere gestürzt? Der neue Sozialbericht zeichnet ein differenziertes Bild – mit manch überraschend positivem Ergebnis.

Natürlich verschweigt jenes Kapitel des Reports, das sich speziell mit den Auswirkungen der Krise befasst, nicht die Opfer. Die Arbeitslosigkeit ist stark gestiegen, die Zahl jener, die länger als ein Jahr keine Beschäftigung finden, hat sich verdreifacht. Zu den Verlierern zählen Männer, Ausländer, Menschen über 50 Jahre und/oder mit niedrigem Bildungsniveau: Für all diese Gruppen nahm das Risiko, ohne Job zu bleiben, markant zu.

Armut gesunken

Und dennoch: Der Anteil der armutsgefährdeten Bürger – sie verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Pro-Kopf-Haushaltseinkommens – ist hierzulande seit 2008 gesunken, und zwar um 74.000 Personen von 15,2 auf 13,9 Prozent. Österreich hebt sich damit nicht nur vom EU-Schnitt ab, sondern auch von Deutschland, wo die Quote gestiegen ist.

Die Gruppe der Menschen in "extremer Armutslage" ist sogar um 31,4 Prozent geschrumpft – jedoch mit Ausreißern in die Gegenrichtung. Die Zahl der registrierten Obdachlosen stieg bis 2013 um 41 Prozent, um danach wieder leicht zu sinken. Geteilter Befund auch bei den Working Poor: Ihr Anteil unter den Erwerbstätigen ist gesunken, doch bei Werktätigen im Alter von 20 bis 29 Jahren hat sich die Lage verschärft. Insgesamt gelten 297.000 Menschen als "arm trotz Arbeit".

Eingebrochen sind laut dem vom Sozialministerium herausgegebenen Bericht die Reallöhne. Die Bruttojahreseinkommen des untersten Einkommensviertels etwa legten von 2008 bis 2014 um mickrige 1,1 Prozent zu, während die Teuerung 12,2 Prozent betrug. Dies liegt aber zum Gutteil daran, dass viele neue Teilzeitjobs dazugekommen sind, die das Niveau im Schnitt drücken. Betrachtet man ausschließlich Vollzeitjobs, dann landeten die unselbstständig Erwerbstätigen mit einem Plus von 14 Prozent knapp über der Inflationsrate. Männliche Arbeiter mussten freilich Reallohneinbußen hinnehmen (plus elf Prozent).

Mehr im Geldbörsel

Wie viel tatsächlich im Börsel bleibt, hängt aber davon ab, was der Staat an Steuern abzwackt und an Leistungen wieder drauflegt. Hier zeigt sich: Die verfügbaren Haushaltseinkommen stiegen von 2008 bis 2015 durch die Bank um gut 19 Prozent, während die Inflation "nur" 13,3 Prozent betrug – das gilt für das obere Viertel ebenso wie für das untere.

Zuletzt, zwischen 2014 und 2015, musste das unterste Einkommensviertel allerdings eine geringfüge Einbuße hinnehmen. Dies sei ein Anzeichen dafür, dass der staatliche Ausgleich angesichts der hohen Arbeitslosigkeit allmählich an seine Grenzen stoße.

Nichtsdestotrotz linderten die Leistungen des Sozialstaats die Krisenfolgen aber entscheidend, lautet die Schlussfolgerung. Honoriert wird das nur bedingt: Lebenszufriedenheit und Glücksempfinden sind nun weniger verbreitet als vor der Krise. Ein Thema, das den Bürgern laut der im Bericht zitierten Umfrage besonders unter den Nägeln brennt: Immer mehr fordern, dass die Regierung gegen die Einkommensunterschiede ankämpft.

Schere blieb stabil

Auch diese blieben, nach dem sich die Schere über Jahre immer weiter geöffnet hat, in der Krise stabil. Gemessen an den verfügbaren Haushaltseinkommen drifteten Arm und Reich nicht weiter auseinander. Im internationalen Vergleich zählt Österreich nach diesem Parameter zu den Ländern mit einer relativ gleichmäßigen Einkommensverteilung.

Allerdings blende diese Statistik die Vermögen und damit Entscheidendes aus, sagt Wilfried Altzinger von der Wirtschaftsuni, der mit seinen Kollegen Stefan Humer und Mathias Moser ein Kapitel zur Verteilung beigesteuert hat: "Die wirklich dramatische Schieflage gibt es zwischen Einkommen aus Arbeit und Kapital."

Abzulesen sei dies an der Entwicklung der Lohnquote: Seit Ende der Siebzigerjahre ist der Anteil der Löhne am Volkseinkommen stetig gesunken, was die Forscher mit technologischem Wandel, Globalisierung und der daraus resultierenden Schwächung der Gewerkschaften erklären. Weil in der Krise Unternehmenserträge wegbrachen, zeigte der Trend in den letzten Jahren mitunter zwar wieder nach oben; doch der vorhergehende Einbruch wurde bei weitem nicht wettgemacht.

Höhere Steuern auf Kapital

Zugelegt hätten im Gegenzug unter anderem die Kapitaleinkünfte, sagt Altzinger – und die kommen hauptsächlich den Bestverdienern zugute: Das Einkommen des obersten Prozents der Haushalte wird zu 45 Prozent aus unselbstständiger Arbeit gespeist, zu fast einem Viertel aber auch aus Kapital. Für die restlichen 99 Prozent spielen derartige Einkünfte mit einem Anteil von sieben Prozent hingegen kaum eine Rolle (siehe Grafik).

Für den Sozialstaat sprudelt aus dieser Quelle relativ wenig: Kapitalerträge unterliegen einer pauschalen Flat Tax von 25 Prozent, während Arbeitseinkommen progressiv mit einem Steuersatz von bis zu 55 Prozent belastet werden. Die Autoren empfehlen nicht nur, diese Ungleichbehandlung zu beenden: Auch das Comeback der Erbschaftssteuer sei angesichts der stark konzentrierten Vermögen "dringlicher den je". (Gerald John, 31.1.2017)